Forum Übersicht - Das Spiel » Aufwachen

Sie lag auf dem Rücken. Sie war nackt. Ruckartig setzte sie sich auf. Durch eine Türoffnung fiel grelles Licht in den schäbigen Raum. Sie saß auf einer Decke auf dem dreckigen Fußboden. Sie konnte sich noch erinnern, daß sie sich mit Kameraden durchs Hafenviertel gesoffen hatte. Aber wo verdammt noch einmal war sie? Wieso war sie nackt? Ein böser Verdacht stieg ihr hoch. Hatten diese Hurenböcke sie in ihrem Vollrausch durchgevögelt und hinter her liegen lassen? Mit einem ordinären Fluch kam sie auf die Füße. Sie wollte schon zornig los brüllen, da verschlägt es ihr die Rede. Das konnte nicht sein. Nein, wirklich nicht. Sie hatte alle Zähne im Mund! Immer wieder fährt sie mit der Zunge über die Zähne. Sie waren alle da. Auch die Backenzähne die ihr der Ausbildner ausgeschlagen hatte. Vergessen waren die Kameraden. Jetzt schlugen ihre Gedanken Purzelbäume. „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“: murmelte sie völlig verunsichert. Mit ein paar Schritten war sie durch die Tür. Noch immer nackt stand sie auf einer ziemlich breiten Straße. Die Häuser die sie sehen konnte waren alle beschädigt. Gras wächst in den Pflasterritzen. Sie schaute in einen verwilderten Garten auf der anderen Straßenseite. Ira kannte das Armen und Hafenviertel wie ihre Hosentasche. Das war nicht in Vorovis! Bei allen lijanverfluchten Katzen! Das war niemals Vorovis! Jetzt roch sie es auch. Kein Gestank, kein Rauch, kein Hauch vom Pissmief des Hafenviertels. „Das gibt’s doch nicht! Verdammte Katzenscheiße!“: brüllte sie mit überschlagener Stimme heraus. „Das gibt’s einfach nicht!“

"NEEEEIIIIINNNNNNN!!!!!"

Ein markerschütternder Schrei durchbrach die Stille, die die Nackte zunächst empfangen hatte. Ein Schrei der Verzweiflung, der tiefen Enttäuschung, beinahe panisch mag er Anmuten. Ein Schrei aus heiserer Kehle, eine Frauenstimme. Vermag die Nackte die Richtung in ihrer eigenen Aufregung sofort zu deuten? Es ist einerlei, es dauert nur Augenbllicke, die sie sich umschauen muss, um die Quelle des plötzlichen Ausbruches zu erkennen.

Eine junge Frau kniet auf der Straße, der Rücken gekrümmt. An ihrer Seite ein Köcher, der bis auf einige wenige Pfeile geleert ist. Auf dem Rücken ein Bogen, noch aufgespannt, schlampig in den Bogenköcher geworfen. Das blusenartige, weite Hemd besteht aus ganz normalem Leinen, in eben jener Farbe, die ungefärbtem Leinen eigen ist. An der linken Schulter ist es zerrissen und gibt den Blick auf eine Schulter frei, die durch blutige Striemen durchfurcht ist. Die enge Hose ist aus Leder, einfach gegerbtes, ungefärbtes Leder, ebenso die festen Stiefel. Das Gesicht ist durch lange schwarze Haare gefärbt, die durch die gebückte Haltung links und rechts des Kopfes nach unten hängen. Unmöglich ist es so, das Alter zu schätzen. In den krampfhaft geballten Händen hält sie eine Asnivala, in ihrer Scheide, und diese steckt an einem abgenutzten Waffengurt, dessen Enden im Staub der Straße liegen. Ein großer Edelstein am Knauf mag gar nicht zur einfachen Kleidung der Frau passen. Sie scheint auf die Straße zu sehen, doch auf der Straße ist nichts als Staub und Dreck, einfach nichts, das einen solch extremen Gefühlsausdruck rechtfertigen würde.

Der Schrei verstummt nur einige Sekunden, dann richtet sich der Rücken auf, das Gesicht wendet sich in den Himmel und wird von den zurückfallenden Haaren freigegeben. Es ist ein hübsches Gesicht, sonnengebräunt, blau-grüne Augen bilden einen faszinierenden Kontrast zu den dunklen Haaren. Und da erschallt der Schrei wieder: "NEEEEEIIIIIN!!!!"

Leise rauschen die Wellen, im sanften Auf und Ab spült das Meer allerlei Treibgut an den sonnigen, beinahe leeren Strand. Nur eine schlanke Gestalt ist zu sehen, die rücklings im warmen Sand liegt und gerade mit leisem Stöhnen die Augen aufschlägt. In die Hellilgkeit des Tages blinzelnd, greift sie benommen und neben sich und bekommt eine Muschel zu fassen.

...Strand ? Muscheln ?...mitten in den verschlungenen, engen Vierteln der Allianzhauptstadt ? Irgendetwas an diesem Bilde scheint grundverkehrt zu sein...

"Was zum..." Mit einem Ruck setzt sich die junge Frau auf und starrt mit großen Augen auf die blaue Weite hinein, die sich vor ihren Augen erstreckt - und die auch noch mehrmaligem Blinzeln immer noch real scheint. Suchend gleitet der Blick über die nähere Umgebung, auf eine Erklärung hoffend - doch der Strand scheint völlig verlassen.

Keresin wußte schon bevor er die Augen aufschlug, daß er sich nicht in seinem Quartier befand. Es roch nach Metcha, Tang und Salz und er konnte die leichte Brise auf seiner nackten Haut spüren. Seine Sinne täuschten ihn nicht. Er lag auf den Bohlen einer zerfallenden Holzkonstruktion, die wohl einmal eine überdachte Veranda gewesen sein mochte. Einige Mauerreste trugen noch die Spuren des weißen Verputzes. Langsam setzte sich Keresin auf und sah sich um. Zwischen den Bäumen, die sich in Strandnähe lichteten, leuchtete heller Sand vor dem Blau des Metchas. An beiden Seiten war die Ruine von dichter Vegetation und leuchtenden Blüten eingerahmt. „Ein schöner Platz.“: ging es ihm durch den Kopf. Hier auf einer intakten Veranda zu sitzen und auf den Metcha hinaus zusehen mußte ein angenehmer Zeitvertreib sein. Doch wo war er?

Er erinnerte sich genau daran sich von Venara verabschiedet zu haben, bevor er sich auf den Weg in sein Quartier machte. Die Bitterkeit stieg in ihm hoch, wie Säure. Hätte er sie zu einer anderen Zeit unter anderen Vorausetzungen getroffen...Doch er riß sich aus dieser fruchtlosen Betrachtung, Der Feind war nahe und damit die Schlacht und das Ende. Jetzt bemerkte er die gefüllte Umhängetasche zu seiner Rechten, zog sie zu sich und öffnete sie vorsichtig. Er fand eine Hose aus leichtem Stoff, ein kurzen Hemdkittel, Sandalen und einige nützliche Kleinigkeiten, darunter auch ein einfaches, aber hochwertiges Messer in einer Lederscheide. Verwundert schüttelte er den Kopf. Was sollte das? Wer hatte ihn nackt hier her gebracht und diese Tasche und die Decke hinterlassen? Verrückt!

Er zwang sich zur Ruhe, atmete ein paar Mal durch und schob dann entschlossen die ganzen Fragen und Vermutungen, die sich in seinem Kopf zu einem wirren Tanz formierten, beiseite. Wo war er? Das war die Frage die es zuerst zu klären galt. Er stand auf und zog sich an. Die Sachen paßten, waren luftig und angenehm zu tragen. Als er in die Sandalen schlüpfte, sah er sich nach dem einzig Wertvollen um, daß ihm das Geschick gelassen hatte, seiner Asnivala. Sie sah aus wie die Standardwaffe der Reichsarmee, aber die Klinge war in der besten Schmieden Vorovis für ihn angefertigt worden. Er erwartete nicht sie zu finden, die Waffe war ein kleines Vermögen wert, trotzdem suchte er die Reste der Veranda methodisch ab. Er erlaubte seiner Wut nicht von seinen Gedanken Besitz zu ergreifen, aber er schwor sich blutige Rache zu nehmen, sollte er den Schuldigen noch vor der Schlacht finden.

Schließlich nahm er die Decke, faltete sie ordentlich zusammen und verstaute sie in seiner Tasche, die er sich über die Schulter hing. Das Messer hielt er locker in der Linken als er über die Treppenreste hinunter stieg auf den sandigen Boden. Für eine kleine Weile hielt er inne und lauschte, doch er konnte nichts hören, was nicht in das Geräuschmuster hier passte. So machte er sich auf den kurzen Weg hinunter zum Strand. Als er aus dem Schatten der Bäume trat und ein paar Schritte hinaus auf den sandigen Strand tat, blieb er stehen und folgte mit dem Blick der Küstenlinie und dann sah er hinaus auf den Metcha und die vorgelagerten Inseln. Er wiederholte seine eingehende Musterung und dann wurde ihm trotz der Hitze am Strand kalt.

Ira fährt herum als der Schrei die Stille zerreist. Dort wo noch vor ein paar Atemzügen niemand war, kniet eine Frau am Boden. Ira ist gefährlich nah am Durchdrehen. Das ist Zauberei, kann nur lijanverfluchte Zauberei sein! Es sind die Waffen, die sie ein bißchen zurück auf den Boden holen. Mit bloßen Händen gegen eine Asnivala, das war ein ungesundes Verhältnis. Da war der nackte Hintern auch schon egal. Noch dazu der Bogen. Wenn die Schlampe drauf aus war, hatte sie ein Loch bevor sie in dem Haus da verschwinden konnte. Scheiße! „Ruhig, Ira, ganz ruhig!“: redet sie sich im Gedanken zu. Da hob die Fremde den Kopf und schreit wieder. Vielleicht hatte sie die Kleine noch nicht bemerkt. Egal! Sie brauchte nur mit dem Hintern zu wackeln und schon wars geschehen. Also läßt sie es drauf ankommen. „Was ist? Hats dich erwischt, Goldstück?“: sagt sie im breiten Vorovisdialekt mit falschem Mitgefühl. Sie hält dabei die Hände vom Körper ab.
„Ich will dir nichts. Bin unbewaffnet.“: sagt sie noch dazu. Nackt wie sie ist kann sie auch keine Waffe versteckt haben. Ira schaut ganz gut aus. Das heißt wenn man Frauen mag, die trainiert sind. Schlank, lange Beine, sichtbare Bauch und Armmuskeln. Dazu Brüste für die man große Hände braucht um sie zu verdecken. Kurz und unregelmäßig geschnittenen Blondschopf, volle Lippen und große Augen. Nur in den Augen ist was Lauerndes, wenn man genau hinschaut.

Die große Verzweiflung scheint urplötzlich zu verschwinden, als die junge Frau die Stimme der Nackten vernimmt. Ansatzlos stellt sie sich aus der knienden Haltung auf ihre Beine, schaut die Nackte an. Sie schaut die Nackte an, sie schaut geradewegs in ihre Augen, scheint die mangelnde Kleidung gar nicht zu bemerken. Zwei nasse Bahnen sind auf ihren Wangen gezeichnet, doch hat sie auch das Weinen von einer Sekunde auf die andere eingestellt. Ein Zur-Ruhe-Kommen, das bemerkenswerte Selbstbeherrschung voraussetzt, und das wiederum darauf schließen lässt, dass sie eine solche trainiert haben muss, dass sie irgendwann gelernt hat, mit Extremsituationen eigentlich klar zu kommen, wenn gerade dies auch eben gar nicht danach ausgesehen hat.

Sie ist kleiner als Ira, ja überhaupt nicht groß. Mehr als 160 Clat mögen es kaum sein, vielleicht noch etwas weniger. Auch die Hände, die wohl nötig wären, um die Brüste der Frau zu bedecken, müssten nicht ansatzweise so groß sein wie in Iras Fall. Obwohl sie ja gut proportioniert ist, naja, vielleicht sind die Schultern etwas zu breit. Jedenfalls schaut Iras Gegenüber so aus, als würde sie trotz mangelnder Körpergröße ordentlich austeilen können, mit der Asnivala, die nun lässig in einer Hand hängt, ordentlich zuschlagen.

Aber halt, was ist das? Ira ist eine Expertin der Waffenkunst. Entweder ist die Scheide der Asnivala zu lang, oder aber der Waffenschmied, der die Waffe geschmiedet hat, war kein Meister seiner Kunst. Hätte Ira eine solche Waffe für die junge Frau bestellt, sie wäre wohl einige Clat kürzer ausgefallen. Oder es ist nicht ihre, und die eigentliche Besitzerin 15 oder 20 Clat größer. Der Bogen hingegen passt. Die Lederhose ist dort, wo der Köcher der Pfeile befestigt ist, sichtlich abgenutzt, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie ihn nicht erst seit gestern trägt. Auch das Kurzschwert, das an ihrem Gürtel hängt, passt zu einer ausgebildeten Fernkämpferin. Die lädierte Schulter, von drei parallelen Irgendetwassen sicher schmerzhaft durchfurcht, verschwindet aus dem Blickfeld, und nur ein blutiger Fleck auf der Schulter zeugt noch von der Verletzung.

Sie ist nicht alt. 20 Jahre? 25? Nein, 30 sind es auf keinem Fall. Viel weniger als 20 wohl auch nicht. Aber ist das wichtig, um die Frau einzuschätzen? Ist eine 30jährige Bewaffnete im Vergleich zu einer nackten Unbewaffneten so viel gefährlicher als eine 18jährige? Zumal, und das ist sich Ira bei näherer Beobachtung sicher, die Frau nicht unbedingt verkleidet ist? Nein, Ira, konzentriere dich auf die Augen, den Seelenspiegel, der jegliche Gefühlsregung am besten offenbart. Verdammt, sind diese Augen aber hübsch! Obwohl sie ziemlich verweint aussehen... und fragend, verwundert, ungläubig. Aggressivität sieht anders aus, Verschlagenheit auch. Ganz kurz verengen sich die blau-grünen Fanale in dem gebräunten Gesicht, als Ira zu ihr spricht. Eben nur einen Augenblick, dann kehrt die ehrliche Verwunderung zurück. Es sind, nachdem Ira zu sprechen aufgehört hat, wohl einige Augenblicke der Stille, bis es die junge Frau ist, die diese bricht.

"Wo kommt Ihr denn plötzlich her?"

Es ist ein elurischer Dialekt, den Ira vernimmt, ein einfacher schlampiger elurischer Dialekt. Einzig die zwei R in dem Satz sind so gerollt, wie es ein Vorovise tun würde. Allerdings wäre ein Vorovise schlecht beraten, ein R so zu rollen, wenn er elurisch klingen möchte. Vielmehr klingt es nach einem geradezu stümperhaften Versuch, irgendwie das Elurische mit vorovischem Grundton zu sprechen, einen Vorovisen zu imitieren, der Elurier geworden ist. Praktisch ein Mensch zu sein, dem man in beiden Reichen mit reichlich Argwohn gegenübertreten würde. Es ist also ein Geheimnis der Götter, egal ob derer der Alten oder des Neuen Kultes, warum die junge Frau so etwas versuchen sollte. Aber ein Bürger Vorovis' steht jedenfalls nicht vor Ira.

Dutzende von Atemzügen vergehen, ehe es Lenari allmählich dämmert, dass die Umgebung eine völlig fremde ist und sie nicht den Hauch einer Ahnung hat, wie es sie hierher verschlagen hat. Wenigstens die Kleidung vermittelt einen Hauch von Vertrautheit - alte, von einem Marktstand „gefallene“ Stiefel, die knielange dunkle Hose und das fadenscheinige schmutzig-graue Hemd – alles wie immer. Nun nicht ganz, die wenigen zusammengeklauten Münzen sind verschwunden, was die junge Frau mit einer leisen Verwünschung quittiert. Eine kurze Begutachtung fördert wenigstens keine akuten Verletzungen zutage, das Schädelbrummen wie nach einem milden Kater verflüchtigt sich in der warmen Brise zusehends.

Im Grunde gar nicht so schlecht, die Umgebung...im Vergleich zum lauten, dreckigen und stinkenden Viertel der Hauptstadt, wo jeder neue Tag ein mühseliger Kampf ist, wenn man nicht zu den Privilegierten gehört. Langsam steht Lenari auf und dreht sich ein paarmal, um nach jemanden anderen Ausschau zu halten. Nicht ist zu sehen oder zu hören, in einiger Entfernung macht sie ein paar Gebäude aus. Häuser bedeuten Menschen, das weiß ja jeder, also macht sie sich kurzerhand dorthin auf – um schon nach wenigen Schritten wieder anzuhalten und die Stiefel auszuziehen, da der Sand jedes noch so kleine Loch darin findet.

Die hat sich ganz schön an der Kandare. Das mußte sie der Kleinen lassen. So schnell wie sie die Situation verdaut. Das schüttelt man nicht aus dem Handgelenk. Die breiten Schultern, der Bogen, die Gebrauchsspuren am Gewand springen Ira ins Auge. Bogenschützin! Wahrscheinlich eine Gute! Diese Schultern bekommt man nicht vom Beine breit machen. Die Asnivala paßt nicht ins Bild. Das ist die kurze Klinge am Gürtel und die Asnivala ist zu lang für die Kleine. Sicher ein Beutestück. Kein Wunder bei dem Steinchen. Das mußte einen Haufen Dublonen wert sein. Die hätte Ira auch nicht losgelassen. Sie schaut sich die Frau vor ihr genauer an. Wahrscheinlich ein paar Stürme jünger als sie und recht hübsch, das Stubsnäschen. Vor allem die Augen, aber nicht ihr Fall. Viel zu flach.
Ira läßt die Hände sinken. Aber sie bleibt stehen wo sie ist. Die Kleine schaut sie nicht so an, als ob sie ihr an die Gurgel springen wollte. Aber Ira merkt die kurze Veränderung im Blick als sie sie anspricht. Aber sie ist noch nicht nahe genug dran. Dann sollte die kleine Schlampe Gelegenheit genug bekommen blöd drein zuschauen! Die Dublonen für die Asnivala könnte Ira gut gebrauchen. Vielleicht sogar ein bißchen Spaß, bevor… Ja, bevor was? Als Ira noch überlegt, spricht sie die Kleine an. Ira hat keinen blaßen Dunst vom elurischen Dialekt. Sie ist nie aus Vorovis raus gekommen. Bis auf einmal, sechs Monate Strafversetzung nach Ziost. Aber das die Kleine nicht aus Vobra ist, weiß sie nach dem zweiten Wort. Eine Ketzerin! Egal woher die Katzenarschkriecherin kommt. Elurien, Ashrabad oder wie die Ketzernester alle heißen, alles ein und derselbe Misthaufen. Scheiß drauf! Viel Hemmungen hat Ira sowieso nicht. Aber jetzt sind alle weg. Aber langsam, schön langsam.
Ira lächelt und deutet mit dem Daumen auf das verfallene Haus auf der rechten Seite. „Aus dem dreckigen Zywselstall da. Bin grad aufgewacht. Und du?“ Sie macht einen kleinen Schritt auf die Ketzerin zu. Aber sie bleibt wieder stehen und versucht freundlich drein zu schauen.

Mit dem winzigen Bötchen wird man unmöglich den Metcha befahren können und kann es sogar als Wunder einschätzen, wenn man eine der vorgelagerten Inseln damit erreicht. Zwei Planken haben sich am Rumpf sogar gelöst, liegen gestapelt im weißen Sand und dienen einer Möwe als Aussichtspunkt.
Ein dunkles Stöhnen erklingt aus dem Bootswrack, ehe eine Hand über die Umgebung tastet und wohlig zu Brummen beginnt, als sie auf einen anderen Körper trifft. Behutsam tastet er sich weiter, bis er überaus kräftige Muskelpartien zu fühlen bekommt, woraufhin sich die weißen Brauen scharf zusammenziehen. „Gronk, bist du nicht zu alt dafür noch in mein Bett zu kriechen“, mault die sonore Stimme, dem ein Stöhnen und Griff an den Kopf folgen. Ein Dickschädel vom Feinsten, weshalb er versucht sich daran zu erinnern, in welcher Absteige sie sich zugedröhnt haben. Eindeutig gepanschter Fusel, eigentlich schmeckt er das heraus, weshalb ihm das nicht hätte passieren dürfen. Nein, keine Absteige, kommen die Erinnerungen langsam wieder und er kann einen Kater nach einem Gelage eindeutig ausschließlich.

Der Versuch die Augen zu öffnen wird mit einem erneuten Stöhnen unterbrochen, denn das grelle Licht sticht in seinem Kopf. Licht? „Gronk!“ setzt er sich ruckartig auf und hätte damit das Boot sicher zum Kentern gebracht, wenn es nicht auf Sand statt im Wasser gebettet wäre. Kreischend fliegt die Möwe aufgeschreckt davon ohne Beachtung zu finden. Gierig saugt er die frische Luft nach Salz, Tang und Metcha auf und nun kann das Stechen nicht mehr verhindern, dass der Bärtige die Augen weit aufreißen. Türkis schimmert das Wasser vor ihnen und gegenüber in der Ferne kann man in Kleinformat das traumhafte Idyll einer Südsee entdecken, mit Palmen weißen Stränden und einem strahlend blauen Röhrenhimmel.
„Zur Lijan!“ entfährt ihm der Fluch über die Lippen und er stolpert aus dem Boot, fällt in den warmen Sand, den er, nackt wie er ist, mit den Lippen beginnt zu küssen. Das Lachen löst sich aus der rauen Kehle, überschwänglich, begeistert und er haut mit der Faust gegen die morsche Reling. „Gronk du alter Säufer! Wie hast du das geschafft?“

"Halt die Fresse man...hat noch nich geklingelt..." knurrt es aus der Kehle des zweiten Mannes, der lang ausgestreckt am Bootsboden, halb unter der Sitzbank liegt. Während Kaar aus dem Kahn stürzt, zieht sich Gronk den tätowierten Arm über die Augen, um das Licht auszusperre, murrt dabei leise Verwünschungen vor sich her, da sich sein Schädel anfühlt, als wäre er zwischen zwei Fäuste geraten. Gab es gestern noch Stress? Er kann sich nicht erinnern - kein gutes Zeichen. Als die Faust gegen die Bootswand donnert, schreckt er dann doch hoch, was er gleich bereut, als seine Stirn gegen die Unterseite der Sitzbank knallt. "Verfickte Höllenbrut! Was soll der Dreck!" rutscht er nach unten und fährt auf, um mit gefletschten Zähnen aus dem gestrandeten Boot zu kriechen und stolpernd auf die Füße zu kommen. "Willst du mich verarschen?" donnert er bereits los, stutzt dann aber und verstummt prompt. Boot. Sand. Kaar. Boot. Boot? Gronk wendet sich um, betrachtet das kleine Böötchen und den dahinter schillernden Metchaspiegel, der so zauberhaft vor sich hinfunkelt, dass man fast kotzen könnte. Langsam wandern die blauen Augen zurück zu dem knienden Mann im Sand, dann breitet sich ein dümmliches Grinsen auf seinem Gesicht aus, ehe er herankommt und dem Weißhaarigen um den Hals fällt. "Bruder..." murmelt er, drückt noch einmal schraubstockartig zu, dann lässt er sich auf den Rücken zurückfallen und blinzelt lächelnd in den malerisch blauen Himmel mit den idyllischen, wattig-weißen Schäfchenwolken. "Egal was wir genommen haben, ich will mehr davon!"

Kaar gibt einen krächzenden Laut von sich, als sein Oberkörper in eine Schraubzwinge genommen wird und schlägt erfolglos mit einem Arm nach hinten. Dennoch löst sich ein weiteres Lachen aus seiner Kehle und er holt den Schlag nach, als Gronk sich in den Sand fallen lässt.“ Blödsinn. Da gabs nichts was wir nehmen konnten und das Zeug, was das hier erzeugt, werden wir da wohl nicht bekommen. Maaan Gronk, das hier ist echt!“ beugt er sich raunend über seinen jüngeren Bruder, um diesen ein paar Mal in die Seite zu rütteln, als müsse er den Mann erst einmal wecken. Sonst eher zurückhaltend bekommt er das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht gewischt und während der Andere noch glücklich in den blauen Himmel blinzelt, sieht er sich bereits um. Mit dem Boot sind sie hier gewiss nicht angekommen, erfolgt die kritische Musterung des Wracks. Und wenn doch, hatten sie unverschämten Glück. „War es ne Frau? Na komm, verrat mir, wer ist unser Gönner?“ will er wissen, als er sich an der niedrigen Reling hochzieht und in das Boot schaut. Die kräftige Hand greift nach den Beuteln, mit denen er sich zurück in den Sand fallen lässt, den Rücken am morschen Holz gelehnt. Neugierig zieht er die Bändchen der Stoffbeutel auseinander, deren Inhalt ein Grunzen erzeugt.“ Wenigstens muss ich deinen nackten Arsch nicht länger sehen, hier, zieh dir was an“, wirft er einen der Beutel auf die Brust seines Bruders.

Für den ersten Moment klammert er sich an den Gedanken, daß er sich geirrt haben könnte. Er kannte die Seekarten der bekannten Welt und konnte diese Küstenlinie mit den vorgelagerten Inseln nirgendwo einordnen. Keresin fährt sich in einer Geste der Verwirrung übers kurzgeschnittene Haar. Er widersteht dem Drang in verrücktes Gelächter auszubrechen. Scheinbar unlösbare Probleme löst man damit, daß man sie in kleine Abschnitte unterteilt und sie sich Schritt für Schritt vornimmt, ruft er sich in Erinnerung, glättet die Wogen in seinem Verstand. Zu seiner Linken, im Osten, hatte er etwas ausgemacht, das nicht natürlichen Ursprungs zu sein schien und an Reste von Kais oder Hafenanlagen aussah. Also wählte er diese Richtung. Knapp an der Wasserlinie, dort wo der Sand feucht und fest ist, marschiert er gemächlich los. Aber die Hitze des Strandes unter dem lodernden Himmelsfeuer treibt ihn bald wieder in den Schatten der Bäume. Langsam bekommt er Durst und obwohl er es sicher noch eine ganze Weile aushalten kann, mußte er sich nach Wasser umsehen. Doch zuerst wollte er die Stelle erreichen, an der er sich die Ruinen jetzt deutlich abzeichneten. Doch dann hält er inne. War da nicht etwas vor ihm auf dem Strand? Ein Boot? Als er noch mit zusammengekniffenen Augen versucht im grellen Licht etwas zu erkennen, nimmt er eine Bewegung wahr. Noch ist er zu weit weg um Genaueres zu erkennen, aber den Umrissen nach muß es ein Mann der da aus dem Boot steigt. Kurz darauf kann er den Oberkörper eines zweiten Mannes ausmachen, der sich im Boot aufgesetzt hat. Für einen Moment überlegt er dann setzt er sich in Bewegung und tritt wieder hinaus ins grelle Licht und hält auf die Beiden und das Boot zu. In der Linken hält er immer noch das Messer in der Scheide, mit der Rechten winkt er den beiden Gestalten zu.

„Ja klar. Täuschend echt.“ Wackelt Gronk grinsend mit den Brauen, wobei er die Arme hinter dem Kopf verschränkt und sich breitbeinig ausstreckt. „Du warst schon immer ein Künstler. Wie du mir einfach dieses abartig kitschige Sonnengefunkel in den Kopf ballerst. Ich spür sogar die Wärme und ich könnt schwören ich hab nachher Sand in der Arschritze.“ Lacht er ausgelassen und schließt kurz die Augen, während er den Atem tief einzieht und den frischen Duft nach Metcha und Freiheit in seine Lungen saugt. „Hö?, welche Frau?“ sich auf die Unterarme stemmend, rafft sich Gronk hoch und blickt stirnrunzelnd zum Boot, an dessen Wand sich Kaar gelehnt hat. Er ächzt leise, als er den Beutel auf den Bauch geworfen bekommt und setzt sich schließlich ganz auf, die Beine in den Schneidersitz quetschend. „Warte mal, du meinst das echt ernst?“ versichert er sich, greift dann mit der Hand in den Sand und lässt diesen durch die Finger rieseln. „Fühlt sich echt verdammt … echt an.“ Brummt er und krault sich durch den langen Bart, ehe er breit grinst. „Das erste Mal, dass du dich über nackte Ärsche beschwerst!“ grunzt er, beginnt dann aber endlich seinen Beutel zu durchwühlen. „Verdamm nochmal ja!“ greift er hinein und zieht ein silbernes Zigarettenetui heraus, welches er sogleich aufschnappen lässt. „Bruder, ich hab's dir verdammt nochmal schon immer gesagt: die Götter lieben uns!“ schiebt er eine Zigarette aus der Halterung, die er sogleich mit den Lippen aufnimmt. Es klickt, als das metallene Etui wieder zuschnappt, dann nimmt Gronk jedoch aus den Augenwinkeln eine Bewegung war. Schneller, als man dem grobschlechtigen Körper zutrauen würde, ist er auf den Beinen, wirft den Beutel über seine Schulter und stellt sich in schulterbreiten Stand vor Kaar, dem Fremden skeptisch entgegen blickend.

„Nicht über Ärsche, nur einen fetten Arsch“, gibt Kaar zurück und inspiziert den Inhalt, bevor er eine helle, sorgfältig eingerollte Leinenhose herauszieht. „Meine Größe“, informiert er seinen Bruder, der plötzlich in einer Bewegung hochfährt und mit seinem nackten Hintern sein Blickfeld ausfüllt. „Meine Fresse, jetzt übertreib mal nicht. Ich hab den ne Weile nicht gesehen, aber ich weiß noch gut wie der aussieht“, stöhnt er auf und lehnt den Oberkörper zur Seite, um an den kräftigen Oberschenkeln vorbei zusehen. „Das geht ja schnell. Das muss die Kavallerie sein“, grunzt er zufrieden auf, als er in der Ferne die einzelne, winkende Gestalt sieht. Mit weitaus mehr Ruhe steht er auf und wischt sich die Sandkörner vom Körper, nur um zu bemerken dass Gronk mit seiner Einschätzung, wo diese alle sitzen werden Recht behält. Während der Fremde näher kommt steigt er in die Hose und gurtet den hellbraunen Gürtel. „Ich kenn den Kerl nicht. Sieht nach Militär aus“, wird auch sein Blick kritisch. „Vielleicht einer von Brawins Leuten?“ der fragende Blick zum Bruder, ehe er noch ein helles, kurzärmeliges Hemd mit weitem Ausschnitt über den Kopf zieht und neben Gronk tritt. „ Heho,“ ruft er dem Fremden zu und hebt die Hand zu einem Gruß.

Gronk bleibt still stehen und späht gegen die Sonne zu der sich nähernden Gestalt herüber, deren Konturen sich nur langsam aus der Helligkeit schälen. „Eindeutig.“ Nickt er zu Kaars Einschätzung, wobei die Zigarette in seinem Mundwinkel wippt. „Wenn Brawin dahintersteckt, dann küss ich diesem verdammten Bastard echt die Füße. Scheiße man, ich hasse Schulden…“ vor allem Schulden, die man nicht mit einer Hand voll Münzen oder einem Gefallen begleichen kann. Mit einem mürrischen Grunzen spannt er die Schultern und macht keine Anstalten sich nun ebenfalls anzuziehen, sondern behält den Fremden im Blick.