Forum Übersicht - RE: 3.Tag/Bei Misaki - 5

Iras Augen füllen sich mit Tränen. Er gibt ihr soviel und auf der anderen Seite so wenig. Sie weiß daß er das Militärrecht sehr eigenwillig auslegt. Praktisch hat er sie für die Zeit hier freigesprochen statt sie für ihren Angriff zu exekutieren. Das ist viel mehr als sie jemals gehofft hätte. Aber da war kein Funke Begehren mehr in seinen Augen. Für einen Moment hat sie geglaubt etwas zu sehen. Aber dann war nichts mehr. Als Frau hat er sie im Regen stehen lassen. Das schmerzt. Aber Ira nimmt sich zusammen. Sie wischt sich die Tränen aus den Augenwinkel. Ihr Lächeln ist scheu fast das eines jungen Mädchens. „Danke, Keresin. Das hab ich gar nicht verdient.“ Aber das er sich für sie so weit aus dem Fenster lehnt muß einen Grund haben. Vielleicht verstellt er sich nur. Braucht ein Alibi vor sich selbst um nicht parteiisch auszusehen? Oder er sichert sich nur ab indem er sie auf seine Seite zieht? Ira beschließt es herauszufinden. Wenn es stimmt was Misaki sagt wird sie viel Zeit dafür haben. Bei seinen letzten Worten lächelt sie stärker. Blut ist immer dicker als Wasser. Deshalb traut sie ihm auch ein bißchen. Er ist Vorovisianer.

In diesem Moment klopft es und Misaki zieht die Türe auf. Schnell sieht sie sich um und entdeckt Sundara draußen im Garten. Ira sieht nicht so aus als hätte sie einen schweren Strauß mit dem Legaten auzufechten gehabt, trotz der Tränenspuren. Es scheint also wie zu erwarten war, alles in Ordnung zu sein. Eine interessante Konstellation diese beiden Vorovisianer. Sie bedenkt Keresin mit der Idee eines Kopfnickens bevor sie sagt: „Das Essen ist fertig. Wenn ihr bleiben wollt, Legat, seid ihr mir willkommen.“: sagt sie höflich, vemeidet aber ihn direkt anzusehen und hofft das er diesen diskreten Wink verstehen wird.

Der Auftritt Misakis schneidet Keresin die Antwort ab, zu der er im Begriff war anzusetzen. Doch er hat gesagt was er zu sagen gehabt hatte und er versteht den höflich versteckten Wink der älteren Frau. Schmunzelnd neigt er den Kopf leicht in ihre Richtung. „Vielen Dank für die freundliche Einladung, werte Misaki. Aber ich habe reichlich gegessen und denke das ich euch jetzt verlassen werde. Ich muß mich noch nach einer Unterkunft für die nächste Zeit umsehen.“ Er erhebt sich und dreht sich zu Ira. „Alles Gute und schnelle Genesung wünsche ich dir. Ich melde mich wenn ich etwas Neues erfahre.“ Sein Tonfall ist etwas vertraulicher als zu Beginn seines Besuches, trotzdem läßt sich eine gewisse Distanz nicht übersehen. Bevor er geht hebt er noch grüßend die Hand in Richtung Sundara. „Ihr braucht euch nicht zu bemühen, werte Misaki. Ich finde den Weg.“: sagt er zuvorkommend, doch Misaki läßt sich nicht abhalten ihn bis zur Haustüre zu geleiten und ein paar Worte mit ihm zu wechseln, bevor er ihr Haus verläßt. Draußen auf der Straße bleibt er bei einem Strauch stehen, dessen fast handtellergroße Blüten einen intensiven Duft verströmen. Er zögert ein Wenig und bricht dann einen Zweig mit einer Blüte ab bevor er sich auf den Rückweg macht.

Nachdem Misaki Keresin verabschiedet hat, bringt sie einen niederen Tisch auf die Veranda und holt nach und nach das Essen aus der Küche, bis der Tisch mit Schüsseln, Tassen und Eßgeschirr gefüllt ist. In einer Schüssel dampft die seltsam gewürzte aber äußerst schmackhafte Suppe die Ira schon kennt und in einer Anderen türmen sich Nudeln mit Gemüse und Fleischstreifen. Die Schälchen enthalten mariniertes Gemüse, Salate und die Chiljri-Paste, die Ira so an Vorovis erinnert. Misaki winkt Sundara. „Kommt laßt uns essen solange die Speisen noch warm sind.“ Dann bemerkt sie, daß sie den frischen Tee vergessen hat. „Ich gehe den Tee holen. Dauert nur einen Moment.“ Wenig später ist mit mit dem Teegeschirr und dem Wasserkessel zurück und stellt das Tablett neben dem Tisch ab. Sie wartet bis sich auch Sundara gesetzt hat, dann nimmt sie auch Platz. „Bitte greift zu.“: fordert sie ihre Gäste auf sich zu bedienen.

Eine weit in die Höhe gehobene Hand erwidert Keresins Gruß, und auch auf diese Entfernung kann er wohl ein zufriedenes Lächeln erkennen. Nein, es ist nicht überschwänglich, aber doch ist es klar, dass Sundara diese Art erster Wiederannäherung auf jeden Fall begrüßt, wenn sie freilich auch keine Ahnung hat, welchen Ausgang das Gespräch genommen haben wird. Aber es schien friedlich zu verlaufen, und das ist ihr anscheinend genug. Sie zieht noch einmal an ihrer Zigarette, schnippt den Stummel weg und befördert sich mit einem Satz wieder auf die grüne Wiese. Der Weg zurück wird schneller zurückgelegt als der Hinweg, und so dauert es gar nicht lange, bis sie mit einem Schwung über die rechte Hand auf die Veranda zurückkehrt. Der Blick, den sie nun fragend, neugierig und erwartungsvoll an Ira wendet, währt nicht lange. Schon nehmen die ganzen verschiedenen gefüllten Gefäße ihre Aufmerksamkeit auf sich. In ihre Augen legt sich ein nur schwer falsch zu deutender Glanz, der jedem Koch eine wahre Freude bereitet hätte. Man spürt, wie ihr das Wasser im Mund zusammenläuft, und doch ist eine leichte Unsicherheit ebensowenig zu übersehen wie die Überraschung über einige Gerichte, die sie wohl noch nie gesehen hat. Lautlos huscht sie auf ihren Platz zurück, zieht den Stuhl vorsichtig zu dem Tisch heran. Dann schaut sie von Misaki zu Ira und wieder zurück, wie eben jemand, der es nicht erwarten kann, bis einer den ganzen Reigen eröffnet und sie ihn - möglichst ohne sich deplatziert zu benehmen - imitieren kann. Schließlich scheint ihr etwas in den Sinn zu kommen, sie schaut zu Misaki, leicht betroffen, fast schon leicht bestürzt und wohl doch froh, dass sie noch diese Eingebung gehabt hat.

"Vielen Dank, ehrenwerte Misaki," sagt sie also schnell. "Das sieht wirklich exu... exi... also, das sieht wirklich wunderbar köstlich aus!"

Ira schafft es gleichzeitig froh und enttäuscht aus der Wäsche zu schauen. Außerdem wirkt sie durcheinander. Das Essen scheint sie im Moment kaum zu interessieren. Aber sie neigt dankend den Kopf als sich dann auch Misaki hinsetzt. Sei füllt sich eine Schale mit Suppe. Aber sie ißt nicht. Zu sehr beschäftigt sie die Sache mit Keresin und die Geschichte über die Leichen. Sie legt den Löffel wieder hin. Hauptsächlich an Misaki gerichtet sagt sie: "Entschuldigt, aber das muß jetzt heraus." Sie schaut von Misaki zu Sundara und zurück. "Ich glaub es selbst kaum, aber Keresin hat sich bei mir entschuldigt. Aber es kommt noch viel besser. Er sagt ich bin weder vogelfrei noch aus der Armee ausgestoßen. Dazu braucht es ein Kriegsgericht, sagt er. Ich bin degradiert und darf keinen Dienst machen. Erst wenn wir zurück sind will er Anklage erheben." Jetzt wo sie drüber redet wird es ihr völlig klar was Keresin da gemacht hat. "Ich habe einen vorgesetzten Offizier angegriffen. Das schlimmste Verbrechen außer Fahnenflucht. Er hätte mich töten müssen. Es wär seine Pflicht gewesen. Das weiß ich und das weiß er. Jetzt verdreht er das Militärrecht schlimmer als jeder Winkeladvokat! Für mich!" Ira schüttelt den Kopf. "Es geht mir einfach nicht in den Kopf. Er ist Offizier durch und durch! Außerdem muß er eine Menge auf dem Kasten haben. Ich hab noch nie einen so jungen Legaten gesehen. Und dieser Mann baut mir eine goldene Brücke. Ich versteh es einfach nicht."

Lächelnd winkt Misaki ab. „Probiert das Essen lieber bevor ihr es lobt. Es kann durchaus sein, daß es euch zu fremdartig gewürzt ist. Aber bitte greift nur zu.“ Dann wendet sie sich zu Ira und hört ihr aufmerksam zu. Nur für einen kleinen Moment erhellt sich ihre Mine. „Ich freue mich für dich Ira. Ich weiß was es bedeutet ausgeschlossen zu sein.“ Dann wird sie wieder ernst. „Warum er es auch getan hat, Ira, er hat seine Gründe dafür, da kannst du dir sicher sein. Er gehört sicher nicht zu der Art Mann die sentimentalen Eingebungen folgt.“ Jetzt bedient sich Misaki an der Suppe. „Was es auch immer ist, das ihn bewegt, es hat mit dir zu tun, Ira. Entweder er empfindet mehr für dich, als er zeigt oder die Einsicht, daß die einzigen Vorovisianer hier sich besser nicht feindlich gesinnt sein sollten oder es ist eine Mischung von Beiden. Ich habe es schon einmal gesagt, der Mann ist gefährlicher als es den Anschein hat und du hast Recht Ira, er ist ein fähiger Offizier und noch mehr. Wenn ich dir einen Rat geben darf, unterschätze ihn nicht und versuche nicht Katz und Maus mit ihm zu spielen.“ Sie schaut Ira in die Augen und lächelt. „Was aber nicht heißen soll, daß du deine weiblichen Vorzüge verstecken sollst.“
Sie zwinkert ihr zu und beginnt dann zu essen.

Als Misaki was von Gefühlen für sie sagt, schüttelt Ira den Kopf. Aber sie unterbricht die ältere Frau nicht. Immer mehr wird sie zum Rätsel für sie. Sie weiß was ausgeschlossen heißt? Was soll das jetzt wieder heißen? Es ist vielleicht unhöflich weil Misaki ißt aber sie antwortet trotzdem. „Nein, nein, das hat nichts mit damit zu tun das er mich mag. Glaubt mir! Das würde ich spüren.“ Sie sagt nicht das ihr genau das leid tut. Aber ein bißchen können die beiden Frauen Enttäuschung herauszuhören. „Wahrscheinlich ...ach ich weiß nicht. Vielleicht habt ihr recht mit der anderen Vermutung.“: sagt sie. Sie schmunzelt über Misakis letzte Andeutung. „Zumindest eins weiß ich. Tittenwackeln kommt nicht gut an bei ihm.“ Dann wird sie wieder ernst. Eine andere Frage läßt ihr keine Ruhe. Sie muß Misaki einfach fragen. „Woher wißt ihr soviel über ihn. Ich meine, ihr wißt das er Legat ist. Ich hatte keine Ahnung davon. Ihr wißt das er ein fähiger Offizier ist, ihr sagt das er gefährlich ist. Wie könnt ihr soviel über ihn wissen? Habt ihr Nachrichten erhalten aus Vorovis? Oder kann es sein, daß man doch von hier fort kommt?“ Sie hat nicht viel Hoffnung daß sie Antworten kriegen wird. Trotzdem schaut sie die ältere Frau erwartungsvoll an.

Ob das Schmunzeln Misakis nun dem entäuschten Zwischentönen Iras bei ihrer Feststellung das Keresin sie nicht mag geschuldet ist oder der saftigen Bemerkung über das Schütteln ihrer Brüste bleibt offen. Auch in ihren dunklen Augen funkelt es amüsiert. Doch sowohl Lächeln als der Glanz in ihren Augen verschwindet als Ira ihren Fragen stellt. Sie legt ihren Löffel zur Seite und für einige Augenblicke hält sie den Kopf gesenkt und den Blick auf die Suppenschale gerichtet. Als sie den Kopf hebt und ihren Blick auf Ira richtet kann die Vorovisianerin den Zorn in den Augen sehen, der sich aber nicht gegen sie zu richten scheint, aber auch Bitterkeit und Bedauern. Dieses Bedauern schwingt auch in ihrer Stimme und mildert den harschen Ton.“ Ich habe schon zuviel gesagt, Ira. Viel zu viel! Doch du stehst mir über den ganzen Abgrund von Zeit und Geschick hinweg so nahe, daß ich dich warnen wollte. Ja, ich weiß all das über Keresin und noch viel mehr, aber ich kann es dir nicht sagen, darf es dir nicht sagen! Punkt!“ Misaki atmet tief ein und fährt dann wesentlich sanfter fort. „Ich habe es dir schon gesagt, Ira, ich bin nicht Herrin meiner Entschlüsse. Mich bindet meine Gehormsamspflicht und einiges mehr so wie dich dein Fahneneid. Es ist mir nicht gestattet dir all deine Fragen zu beantworten. Auch jene Unausgesprochene nicht, wer es ist dem ich Gehorsam schulde. Ich diene, wie du deinem Land gedient hast, Ira, in guten und noch mehr in schlechten Zeiten. Es liegt einzig in der Hand der Göttin, ob du diese Insel jemals wieder verlassen wirst. Ich bin keine Prophetin und kenne ihren Willen nicht, aber die Wahrscheinlichkeit, daß du in deine Heimat zurück kehren wirst ist gering. Richte deinen Blick nach vorn, nicht zurück in die Vergangenheit, verschwende nicht deine Kraft an ein Phantom, Ira. Gehe deinen Weg! Denke immer daran, daß hier kaum etwas so ist wie es auf den ersten Blick aussieht, traue nicht dem Schein, halte Augen und Ohren offen und vor allem deinen Verstand. Schließe nichts von vornherein aus und sei stark, mein Kind. Du wirst all deine Stärke brauchen.“ Eine Träne läuft über Misakis Gesicht. „Ich habe dir gesagt, was ich dir sagen kann. Jetzt dringe bitte nicht mehr in mich. Auch für mich ist es nicht leicht.“: sagt sie leise zum Abschluß.

Sundara wartet, bis Misaki sich bedient hat, dann tut sie es ihr gleich. Vorsichtig streift sie die Kelle an der Schüssel ab, nicht dass sie am Ende noch durch einen herabfallenden Tropfen der Suppe der Verschmutzung des Mobiliars der Imkerin beschuldigt werden würde. Dann wartet sie erneut, bis Misaki mit dem Essen begonnen hat. Ihr Blick ist ganz aufgeregt, als sie den ersten Löffel der ihr unbekannten Suppe in den Mund transferiert. Dort schwappt diese einige Male über die Geschmacksknospen, die Augen weiten sich begeistert, blitzen erfreut auf, und blitzschnell fährt der Löffel wieder nach unten. Ein betretener Blick trifft Misaki, der Löffel bremst ab und taucht sanft in die köstliche Flüssigkeit ein. Sundara achtet darauf, mit dem Löffel nicht den Teller zu berühren und dadurch unnötige Geräusche zu machen. Sie will das sich entwickelnde Gespräch auf keinem Falle stören, zu wichtig erscheint es Ira zu sein. Die Augen, die abwechselnd Misaki und Ira fixieren, verraten dennoch, dass es der kleinen Bogenschützin nicht uninteressant erscheint. Ob sie nichts zu sagen hat oder aber nicht riskieren will, erneut durch irgendwelche unbedachten Aussagen negativ aufzufallen, das ist vordergründig wohl unbekannt, bei genauerer Betrachtung verraten die empathischen Blicke, dass es sich wohl eher um Letzteres handelt. Und so ist von Sundara so gut wie gar nichts zu hören. Als am Ende jedoch Misaki das Gespräch so abrupt abbremst, mit dem Verweis auf höhere Mächte, macht sich in ihren Augen Bestürzung breit. Nervös zuckt der Blick zu Ira, fixiert diese einige Sekunden lang, dann senken sich die Augen auf ihre Suppe, während ein neuer Löffel aus dem inzwischen schon gut geleerten Teller in ihren Mund wandert.

Zuerst schaut es so aus als ob Ira aufbrausen will. Aber als Misaki eine Träne übers Gesicht kollert schaut Ira betroffen. So was hat sie nicht erwartet. Sie braucht ein bißchen bevor sie der Älteren antwortet. „Es tut mir leid, Misaki! Ich wollt euch nicht auf die Nerven gehen. Es ist nur...es..ach ich bin nicht gut mit Worten. Entschuldigt!“ Jetzt schaut sie Misaki wieder an. „Ich war nie was anderes als Soldatin. Jeden Tag haben sie mir gesagt was ich zu tun hab. Ich hab nur nachdenken müssen wo ich die Dublonen für den nächsten Rausch herkriege. Jetzt bin ich hier...“ Sie stockt. „Jahre war ich verschwunden. Was für mich vorgestern ist, war in Wirklichkeit vor was weiß ich wievielen Jahren. Dann diese Insel und die Stadt hier. Es ist zum Verrücktwerden! Ich will nicht jammern. Ich sag euch das nur damit ihr mich versteht. Ihr habt soviel für mich getan, Misaki. Ihr habt mir die Augen geöffnet. Allein dafür bin euch bis ans Ende meiner Tage dankbar. Ich versteh auch, daß ihr an euren Eid gebunden seid. Aber zu wissen daß ihr alle Antworten kennt und nichts sagen dürft...“ Ira schüttelt den Kopf. „Aber ich werd euch nicht mehr mit meiner Fragerei auf die Nerven gehen. Das versprech ich euch. Ich versprech euch auch das ich jeden Tag an das denken werde was ihr mir jetzt gesagt habt. Ich werde stark sein, so stark ich kann.“ Die letzten Worte sagt sie mit Bestimmtheit.

Misaki hat sich in der Zwischenzeit wieder völlig gefangen. Aber in ihrem Lächeln ist immer noch eine Spur von Bitterkeit, als sie ihre Hand auf Iras Linke legt. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen und du gehst mir nicht auf die Nerven. Ich kann mir gut genug vorstellen wie du dich in dieser Situation fühlst. Aber erinnere dich was ich dir am ersten Tag gesagt habe, als du mich nach dem Text auf dem Bild gefragt hast. Die Pflicht hat viele Gesichter. Gemeinsam ist ihnen das wir eines davon aus freien Stücken wählen, es auf unsere Schultern laden und es tragen. Wenn wir unter der Last nicht gehen können, dann kriechen wir, denn unsere Pflicht ist unsere Ehre und unsere Freiheit. Meine Pflicht ist mir so schwer geworden, daß ich nur mehr kriechen kann, denn mein Herz will in eine andere Richtung als die Pflicht mir weist.“ Misaki streicht in einer zarten Geste über Iras Handrücken. „Ich habe dir nicht die Augen geöffnet, Ira, das hast du von ganz allein getan. Ich habe dich nur angestoßen. Ich bedauere es sehr, daß mir verboten wurde, dir mehr zu lehren, Ira, das sollst du wissen. Ich hätte es mit großer Freude getan und ich weiß daß du stark bist, stärker als du ahnst.“ Sanft drückt sie Iras Hand und für einen Augenblick spiegelt sich tiefe Zuneigung in ihren Gesichtszügen. Für einen langen Augenblick sieht sie Ira nur an, dann läßt sie ihre Hand los. „Aber jetzt laßt uns essen, bevor alles kalt wird.“

Ihre Lippen, die sich krampfhaft aufeinanderpressen, verraten, dass sie sich nun einen Einwurf verkneift. Ihre Augen, die nun ziemlich unruhig zwischen ihren Tischgenossinnen hin- und herwandern, zeugen von der inneren Aufgewühltheit, verstärkt freilich durch die leicht zusammengezogenen Augenbrauen. Sogar der Löffel, der noch immer in ihrer rechten Hand liegt, ungefähr eine halbe Hand breit über dem Teller, beginnt leicht zu zittern. Und so manifestiert sich Iras vermutlicher Gemütszustand fast noch mehr bei der in den letzten Minuten so schweigsamen Sundara Jahasi als bei ihr selbst. Doch beherrscht sich Sundara, kein Wort kommt über ihre Lippen. Vielleicht wäre es auch unpassend, jetzt, wo Misaki doch die Diskussion ganz offiziell als beendet erklärt. Vielleicht wäre es ebenso unpassend, die Aufmerksamkeit der beiden nun urplötzlich auf sich lenken zu wollen, wo sie wohl wenigstens vordergründig so wenig involviert erscheint. Die Einladung zum Essen schließlich, naja, die ist nun - bis zu einem bestimmten Punkt - wohl Makulatur. Der Teller, der vor Sundara steht, ist fein säuberlich ausgelöffelt. Sie nimmt sich jedoch nichts von den übrigen Speisen. Sie sitzt da, sichtlich nervös, und doch ruhig, in Erwartung darauf, was die beiden Frauen nun tun würden. Und es würde wohl keinen verwundern, würde sie erneut exakt das tun, was ihr Misaki vormachen würde.

Zweifelnd schaut Ira die ältere Frau an. Stärker als sie ahnt? Das glaubt sie nicht. Sie kennt ihre Schwächen und ihre Stärken. Aber dann versteht sie. Es geht nicht um die Stärke des Körpers. Auch nicht wie stark sie im Kampf ist. Misaki meint die innere Stärke. Für eine ganze Weile ist sie still. Aber dann sagt sie: „Ihr habt recht. Wäre schade um das gute Essen das ihr gekocht habt.“ Zuerst muß sie sich zwingen zu essen. Aber mit dem Geschmack kommt auch der Appetit. Sie ißt schweigend. Erst als ihre Schale zum letzten Mal geleert hat, redet sie die schweigsame Sundara an. „Wohnst du noch immer in dem Haus gegenüber der Schenke? Oder hast du dir ein anderes Quartier gesucht? Morgen wird mich Misaki dort hin bringen. Es wird ein bißchen dauern bis ich wieder voll auf dem Damm bin. Ich mein...ich will dich nicht zu was überreden. Aber ich würd mich über ein bißchen Gesellschaft freuen. Auch wenn du mich nur besuchen kommst.Wie schauts aus? Magst du?“. Sie sagt es lässig dahin als wäre es nicht viel mehr als belanglose Plauderei. Aber ihr Blick zeigt das es ihr wichtig ist.

Sundara sieht Ira an. Es dauert eine kleine Weile, bis sie etwas sagt, doch diese kleine Weile ist eigentlich schon Antwort genug. Nun sind ihre Augen ja alles andere als klein, doch werden sie nun größer und größer. Nun sind ihre Augen alles andere als bar jeder Strahlkraft, doch glänzen sie nun freudig auf, gerade so, wie es wohl Iras Augen tun würden, hätte ihr jemand gesagt, Vorovis hätte eben die Weltherrschaft übernommen und sie wäre zur allgemeinen Heerführerin ernannt worden. Der Löffel sinkt zum Teller hinab, und nun ist das leise Klirren sehr wohl hörbar, das Sundara vorhin noch tunlichst zu vermeiden erpicht war. Unwillkürlich richtet sie sich auf, der Oberkörper geht in Richtung der blonden Vorovisin, und beinahe hat man den Eindruck, als würde sie im nächsten Moment über den Tisch zu Ira hinspringen. Sundara macht gar keinen Versuch, ihre Antwort lässig wirken zu lassen. Sich selbst zu verstellen scheint auch gar nicht zu den Fähigkeiten der kleinen Bogenschützin zu zählen. Und so wirkt die Stimme noch heiserer als normal, überschlägt sich beinahe bei der Antwort, und die Freude, die schon aus ihren Augen sprießt, ist in jedem einzelnen Wort allzu gut hörbar.

"Wie es ausschaut?" antwortet sie also ganz und gar begeister. "Freilich mag ich! Ich würde nichts lieber tun als das! Ich wohne zwar nicht mehr in dem Haus, war zuletzt im Haus von Lenari, aber sofort und auf der Stelle kehre ich dahin zurück, oder wo immer du auch wohnen magst. Und wenn es in Lijans Schoß wäre. Ich mag dich, Ira Verra, ich mag dich wirklich, und was immer du brauchst, ich bin für dich da, und wenn es mich Kopf und Kragen kosten sollte!"

Kurz geht ihr Blick von Ira weg, hin zu Misaki, und kaum treffen ihre Augen die Imkerin, da scheint ihr ihr Gefühlsausbruch auch schon wieder peinlich zu sein. Sie wird rot im Gesicht, ihr Blick senkt sich auf ihren Teller. Mit dem Zeigefinger schiebt sie den Stiel des Löffels in eine exakt waagrechte Position. Dann scheint sie einige Augenblicke lang gerade diese Position zu überprüfen, bevor ihre Augen einen kurzen Augenblick zu Ira zurückkehren, ohne jedoch den Kopf zu heben. Dann senken sie sie sich wieder auf ihren Teller.