Forum Übersicht - Die Straßen der Stadt » 3.Tag/Bei Misaki

Es ist schon taghell als Ira aufwacht. Sie fühlt sich gut. Weder ihre Seite noch das Knie schmerzt. Die Medizin die ihr Misaki gibt ist was anderes als das Zeug von den Garnisonsheilern. Vorsichtig setzt sie sich auf. Noch immer spürt sie keinen Schmerz. Aber sie denkt daran was Misaki gesagt hat. Auf keinen Fall alleine aufstehen. Neben dem Bett steht eine Kanne mit Tee. Ira schenkt sich eine Tasse ein. Sie ist durstig und trinkt die Tasse aus. Der ungesüßte kühle Tee schmeckt ihr. Zuneigung erfüllt sie als sie an Misaki denkt. Normaler Weise traut sie keinem, aber bei Misaki ist das anders. Sie denkt eine Weile darüber nach. Vielleicht ist es leichtsinnig. Aber ist so. Also denkt sie nicht weiter darüber nach was ist wenn sie sich irrt. Sie schenkt sich eine Tasse Tee ein und trinkt durstig. Zeit aufzusstehen, sie muß aufs Klo. Sie ruft Misaki und wartet.

Es dauert ein wenig bis sich die Schiebetüre öffnet und Misaki eintritt. Sie trägt nur ihr blütenweißes Untergewand ohne das farbenfrohes Übergewand, das so typisch ist für sie. Sie hilft Ira aus dem Bett und dann in das Badehaus. Nach der Morgentoilette bringt Misaki Ira auf die gartenseitige Veranda, auf der jetzt auch ein niedriger Hocker steht. „Den hat Ruki für dich gemacht. Mit deinem verletzten Knie sollst du nicht auf dem Boden sitzen.“ Misaki hilft ihr sich zu setzten und geht dann ins Haus um das Frühstück zu holen. Es gibt Nudelsuppe mit Gemüse und Fleisch, für Iras Gaumen sicher fremdartig gewürzt, dazu Tee und kleine Küchlein. Nach dem Frühstück trägt Misaki das benutzte Geschirr in die Küche. Sie setzt sich anschließend wieder zu Ira auf die Veranda. „Ich freue mich, daß du heute schon viel besser aussiehst.“: sagt sie lächelnd zu Ira. „Ruki hat dir auch einen Stock gemacht, damit du dich etwas bewegen kannst. Wenn du Lust hast können wir nachher in den Garten gehen.“ Misaki stellt ihre Teeschale auf das Tischchen und sieht Ira direkt an. „Wir haben keine Eile, aber du hast mir gestern von dir erzählt und ich habe dir versprochen, daß wir darüber reden. Es ist ein schöner Tag und die Blüten leuchten im Garten, wie kleine Laternen. Es ist eine gute Zeit um zu reden. Natürlich nur wenn du möchtest.“: ergänzt Misaki rücksichtsvoll.

Es ist nicht zu glauben! Misaki hat extra einen Hocker für sie machen lassen. Dankbar setzt sie sich hin. Das Humpeln auf einem Bein ist nicht angenehm. „Ich weiß gar nicht wie ich euch danken soll.“: sagt sie verschämt. Als Misaki das Frühstück bringt, langt sie hungrig zu. Die Suppe ist scharf und gut. Ira leert ihre Schale mit Genuß. Auch die kleinen Kuchen schmecken ihr. „Es geht mir auch viel besser.“: sagt sie. „Eure Medizin ist viel besser als der Mist der Garnisonsheiler.“ Auch noch einen Stock hat Misaki ihr machen lassen. „Danke, gern. Ich freu mich auf ein bißchen Bewegung.“: sagt sie erfreut. Aber als Misaki ihr Gespräch von Gestern fortsetzen will, wird es Ira mulmig. Sie vertraut Misaki, so schwer vorstellbar das auch ist. Aber es ist so schwer davon zu reden. Es dauert eine Weile bis sich Ira ein Herz nimmt. „Ich heiße gar nicht Verra. Den Namen hab ich mir ausgedacht, als mich mein Vater verstoßen hat….“: beginnt sie zu erzählen. Zuerst immer wieder stockend, doch dann sprudeln die Worte nur so aus ihr heraus. Als wär ein Damm gebrochen. Sie erzählt, daß sie nie zur Armee wollte, über ihre Probleme. Über die Strafen und ihre unehrenhafte Entlassung, wie sie zur Garnison gekommen ist und vieles mehr. „Ich war völlig durcheinander, als ich hier aufgewacht bin. Ich hab fast durchgedreht. Dann ist mir zuerst Sundara über den Weg glaufen und dann Keresin.“ Sie erzählt von ihren Gedanken, davon das Keresin Offizier in der Armee ist und ihrem Auftritt in der Schenke. Wie sie Keresin nachher zusammengestaucht hat. „Ich weiß, ich hätte nur Jawohl sagen müssen und alles wär vergessen gewesen. Aber ich konnt es nicht.“ Sie erzählt wie Keresin sie degradiert hat. „Dann hat er gesagt, mein Vater hat mich zurecht verstoßen. Da hats bei mir ausgesetzt. Ich hab ihn angegriffen.“ Sie senkt den Kopf. „Darauf steht der Tod. Aber er hat mich am Leben gelassen.“ Jetzt rinnen Ira Tränen übers Gesicht. „Ich bin nicht einmal mehr Vorovisianerin.“ Stummes Schluchzen schüttelt sie.

„Der schönste Dank ist für mich wenn du schnell gesund wirst, Ira.“: sagt Misaki lächelnd. Als sie jedoch das Gespräch auf ihre gestrige Unterhaltung lenkt, ist es ganz offensichtlich, daß Ira nicht darüber reden will. Misaki drängt nicht, sie fragt auch nicht noch einmal nach, sie wartet ruhig, denn sie sieht auch das die Zeit reif ist für Ira sich mit ihrem Leben auseinander zu setzen. Wenn sie heute nicht reden mochte, dann morgen oder übermorgen. Als Ira stockend beginnt, hört sie sehr aufmerksam zu, achtet nicht nur auf das was gesagt wird, sondern auch auf das was Ira nicht sagt, auf Iras Mimik und Gesten. Sie unterbricht sie nicht und frägt nicht nach. Erst als Ira zu weinen beginnt, legt sie ihre Hand auf Iras. Aber auch jetzt bleibt sie still, wartet bis sich Ira wieder gefaßt hat. Erst dann beginnt sie zu sprechen. „Man kann dir verbieten in deine Heimat zurück zu kehren, man kann dich hinrichten, wenn du es trotzdem tust, aber niemand kann dir deine Heimat nehmen, solange du sie in deinem Herzen bewahrst und selbst wenn du sie aus deinem Herzen verbannst, bindet dich deine Sippe, deine Vorfahren, deine Geschichte, dein Glaube an das Land deiner Herkunft. Man kann dir die Heimat nicht nehmen, Ira!“ Sie wartet einen längeren Augenblick um ihren Worten Zeit zu geben, durch Iras inneren Panzer zu dringen. „Es ist nicht klug und schon gar nicht weise von einem Vater, seinem Kind etwas aufzuzwingen, daß es absolut nicht will. Aber du, Ira, hast nie aufgehört ein Kind zu sein, ein trotziges zorniges Kind. Wenn ich dieses Spielzeug nicht haben kann, dann mache es kaputt und alle anderen die ich in die Finger kriege auch.“ Sie schaut Ira direkt in die Augen. „Und du wolltest es ihnen zeigen, zeigen das du noch viel schlimmer bist, als sie denken und ihnen damit heimzahlen das sie dich nicht mochten. Wie ich schon sagte Ira, ein trotziges, zorniges Kind, daß um andere zu verletzen sich selbst am Meisten verletzt. Sieh mich an Ira!: fordert Misaki sie sanft auf. „Ich bin alt geworden, mir rinnen die Jahre jetzt durch die Finger wie Sand und es ist nicht mehr viel davon über. Mit Freuden werde ich dich lehren, aber ich habe keine Zeit mehr für kindische Spiele. Also geh in dich, schaue in deinen inneren Spiegel. Du hast das Herz und den Mut einer Kriegerin, verstecke dich nicht vor der Wahrheit. Du hast den ersten Schritt bereits getan und die Augen geöffnet, Ira. Es gibt keinen Weg zurück in die Unwissenheit. Du mußt dich entscheiden ob du gehen willst oder fallen, du allein. Aber ich kann ein kurzes Stück des Weges neben dir gehen, wenn du es willst.“ Fest und trotzdem voller Zuneigung ist die Stimme der älteren Frau.

Ira erinnert sich das Misaki gesagt hat das ihr Verlust kleiner ist als sie denkt. Das sie sowieso nicht mehr nach Hause kommt. Das schmerzt noch heftiger. Ira kämpft mit den Tränen. Umsonst, sie heult wie eine sitzengelassene Geliebte. Misakis stille Zuneigung hilft Ira sich wieder zu fangen. Sie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Was Misaki sagt hat Hand und Fuß. Niemand kann ihr wegnehmen das sie aus Vorovis ist. Heimat bleibt Heimat! Trotzdem tut es weh ausgestoßen zu sein. Nein ihr Vater war alles andere als ein kluger Mann. Aber als Misaki ihr ins Gesicht sagt das sie wie ein trotziges Kind ist braust sie auf. „Das ist doch Warriagscheiße. Ich bin kein Kind!“: sagt sie heftig. Aber trotz ihres Zorns läßt sie Misaki aus reden. Als die ältere Frau bestimmt aber voll Wärme sagt das sie keine Zeit mehr für dumme Spiele hat, will Ira schon eine bissige Antwort geben. Doch dann läßt sie es bleiben. Immer noch gereizt aber nachdenklich sagt sie: „ Ich will lernen. Das hab ich euch schon gesagt. Aber weiß nicht ob an der Kindersache was dran ist. Ich muß darüber nachdenken. Können wir jetzt in den Garten? Ich muß mich ein bißchen bewegen, sonst...“ Sie sagt den Satz nicht zu Ende. Aber Misaki kann sehen das sie eine Mordswut im Bauch hat. Jeder Anderen hätte sie die Zähne ausgeschlagen.

Der Gesichtsausdruck Misakis ändert sich auch beim Wutausbruch Iras nicht. Sie sieht sehr deutlich, daß sie genau dort Druck ausgeübt hat, wo es schmerzt und ist zufrieden mit sich. Es würde sich bald weisen ob Ira fähig ist über ihren Schatten zu springen oder nicht. Nichts an ihrer Zuneigung ist gespielt, aber Misaki wird keinen Moment zögern, alle Bindungen zu lösen, sollte sie sich in Ira getäuscht haben. Sie nickt, als Ira zähneknirschend den Wunsch äußert jetzt in den Garten zu gehen. Ohne mit einem weiteren Wort auf das Gesagte einzugehen, erhebt sich Misaki und holt den Stock. Sie zeigt Ira wie sie damit gehen soll. „Vermeide es das verletzten Bein zu belasten.“: sagt Misaki und hilft Ira fürsorglich von der Veranda. Die ersten paar Schritte stützt sie Ira doch mit ihrer Körperbeherrschung findet sie sich bald zurecht und Misaki geht nur mehr neben ihr her. Der Garten ist alt wie Ira an den Bäumen sehen kann und ungewöhnlich. Wie zufällig sind Steinbrocken und Felsen unter den ausladenden Kronen der Bäume verteilt und ein schmaler, mit Kies bestreuter Pfad führt zu einem Pavillion, der nicht viel mehr als eine hölzerne Plattform mit vier bemalten Pfeilern ist, die das Schindeldach tragen. Sie läßt Ira noch eine Weile durch ihren Garten humpeln, dann aber sagt sie: „Es ist genug, Ira. Willst du dich hier in den Garten setzten oder auf die Veranda?“: erkundigt sich Misaki. Ihr Lächeln ist unverändert fürsorglich und warm.

Die Bewegung tut Ira gut. Wenigstens ein Teil ihrer Wut kann sich beim Herumstelzen im Garten austoben. Die ungewöhnliche Schönheit des Gartens fällt ihr kaum auf. Dazu ist sie immer noch zu zornig. Trotziges Kind! Bei Lijans stinkenden Titten! Trotz aller Zuneigung hätte sie Misaki am liebsten eins auf die Nase gegeben. Was konnte sie dafür, daß sie ihr Vater in die Scheißarmee gesteckt hatte? Das war nicht ihre Idee gewesen. Mit dem Krückstock kommt sie bald ganz gut zurecht. Als Misaki sagt das es genug ist humpelt sie demonstrativ noch ein paar Schritt weiter. Der kleine Pavillion gefällt ihr. Als Misaki ihr die Wahl läßt sagt sie schnäppisch: „Hier im Garten. Da in dem Pavillion.“ Sie klingt immer noch verärgert. Sie humpelt die paar Schritt den Kiespfad entlang. Da sie keinen Sessel oder Bank sieht setzt sich sich im Schatten auf die Stufe. Sie streckt ihr verletztes Bein vorsichtig aus. Im Knie hat sie keine Schmerzen. Aber die angebrochenen Rippen tun weh von der Bewegung. Auch ohne Misakis Anordnung hätte sie sich hingesetzt. Sie will sich jetzt nicht mit der älteren Frau unterhalten. Sie schaut gar nicht zu ihr hin. Läßt ihren Blick eine Weile durch den Garten wandern. Fast gegen ihren Willen besänftgt sie die Harmonie und Schönheit dieses Gartens. „Schön ist es hier.“: sagt sie nach langen Schweigen.

Misaki läßt sich von Ira nicht provozieren, still geht sie mit ihr zu dem kleinen Pavillion und läßt sich nicht weit von ihr wie gewöhnlich mit untergeschlagenen Beinen nieder. Die Stille macht ihr nichts aus. Sie drängt Ira nicht zu einem Gespräch sondern betrachtet den Garten und taucht ein in die Stille der Gedanken. Iras leise Worte lassen sie wieder in die äußere Wirklichkeit zurückkehren. Sie nickt zustimmend. „Ich freue mich, daß dir der Garten gefällt. Einer meiner Vorfahren hat ihn vor Generationen angelegt. Fels, Pflanzen, Erde und Himmel in Harmonie und Schönheit vereeint um der Seele und dem Geist zu ermöglichen zur Ruhe zu kommen und im Frieden und der Harmonie Stärke zu finden.“ Für einen langen Augenblick hält sie inne und wendet sich dann Ira zu. „Wie es aussieht hat der Garten auch dich mit seinem Frieden berührt.“ Misaki legt ihre Hände in den Schoß. „Das ist gut, denn werden dich meine Worte wahrscheinlich erreichen. Ira, du bist mir nichts schuldig! Du brauchst nicht mir zu gefallen etwas tun oder unterlassen. Wenn du der Meinung bist, daß ich dich falsch beurteile oder dich ungerecht behandle dann handle wie du es für richtig hältst. Es ist dein Weg und du mußt ihn gehen, nicht ich. Ich werde dich in jedem Fall gesund pflegen und du brauchst nicht zu fürchten, daß ich dich hinauswerfe wenn du etwas sagst was mir nicht gefällt. Ich wollte dir das in aller Klarheit sagen. Sorge um deine Gesundheit soll nicht dazu führen, daß du glaubst dich zurückhalten zu müssen oder dich gar zu verstellen. Das möchte ich nicht.“

Den Garten anschauen beruhigt wirklich. Doch Ira ist nicht nur zornig. Misakis Behauptungen haben sie verletzt. Noch schlimmer ist das sie Ira an die Tiraden ihres Vaters erinnern. Sie fühlt sich ungerecht behandelt und das sagt sie auch. Offen und ohne hin und her Gerede. „Ich weiß das ich viel falsch gemacht hab, in meinem Leben.“: sagt sie. „Aber deswegen bin ich nicht kindisch.“: faßt sie ihre Worte zusammen. Ihr Zorn legt sich langsam. Noch immer ist Iras Hochachtung groß. Aber Iras fast grenzenloses Vertrauen in Misaki hat einen Sprung bekommen. Als Misaki ihr die Ehrenklinge gegeben hat, da hat sich Ira zum ersten Mal von einem anderen Menschen komplett verstanden gefühlt. Jetzt ist dieses Gefühl weg. Oder schrumpft es nur auf ein menschliches Maß? Ira wird sehr nachdenklich. Soviel war geschehen. Drei Tage hatten ihr Leben total über den Haufen geworfen. Misaki hat schon recht mit dem Entscheiden müssen. Bisher ist alles geregelt gewesen. Ob zu Hause, in der Armee und dann in der Garnison. Der Tagesablauf war fixiert. Immer war jemand da gewesen, der ihr gesagt hatte, was sie zu tun hat. Jetzt ist das nicht mehr so. „Ich muß über alles nachdenken.“: sagt sie dann. Es ist keine Ausflucht.

Wieder wartet Misaki ruhig und gelassen, bis Ira ausgesprochen hat. Doch dann schüttelt sie leicht den Kopf. „Du benimmst dich nicht kindisch, Ira, aber in deinem Kopf sitzt ein trotzige Kind, daß dich immer wieder dazu bringt, etwas zu tun, was du im Grunde nicht willst und später bereust. Ich behaupte auch nicht, daß ich allwissend bin und ja ich kann mich irren, obwohl ich es in deinem Fall nicht glaube. Doch von meiner Einsicht hast du nichts, wenn du es nicht selbst erkennst. Aber lassen wir es für den Moment. Du willst darüber nachdenken? Schön, das ist ein guter Anfang.“: lächelt Misaki. „Nimm dir soviel Zeit wie du willst.“ Die ältere Frau erhebt sich in einer fließenden Bewegung. „Ich muß dich für eine Zeit lang alleine lassen. Ich habe mich seit Tagen nicht um meine Bienen gekümmert. Es wird nicht allzu lange dauern. Aber es wäre besser wenn du dich auf die Veranda setzt, wenn du nicht auf dein Zimmer willst. Von der Veranda kannst du auch alleine alles im Haus erreichen.“ Fürsorglich bringt sie Ira zurück auf die Veranda des Hauses und verabschiedet sich mit einer Verbeugun bevor sie das Haus verläßt.

Ira schaut der älteren Frau nach als sie geht. Sie sitzt auf der Veranda, den Stock neben sich. Misaki hat eine Kanne Tee da gelassen. Ira schenkt sich eine Schale ein. Es tut ihr gut allein zu sein. Die Gegenwart Misakis drängt alles andere zurück. Sie tastet nach dem Verband über den Rippen. Auch so eine Geschichte. Der Verband ist nicht aus Stoff. Elastisch und doch fest. Sie hat keine Ahnung woraus er gemacht worden ist. Sie läßt die Gedanken einfach laufen. Misaki ist ihr ein Rätsel. Sie hat ihr das Leben gerettet. Hat ihr gezeigt, daß sie sie versteht. Ihre Zuneigung spürt sie. Aber irgendetwie paßt es nicht mehr zusammen. Will sie sie auf die Probe stellen? Oder meint sie ernst was sie über sie gesagt hat? Will sie sie in eine bestimmte Richtung drängen? Am Liebsten hätte sie das Haus verlassen bevor Misaki zurückkommt. Selbst wenn sie nicht da ist, ist sie hier gegenwärtig. Aber sie will nicht einfach kneifen. Trotzdem will sie hier weg so schnell es geht. Sie muß allein sein um sich über alles klar werden.

Es ist schon später Nachmittag als Misaki in ihr Haus zurückkehrt. „Verzeih, es hat länger gedauert als ich mir gewünscht habe.“: sagt sie nach einer knappen Begrüßung. „Die Heilerin hat mich aufgesucht.“ Obwohl sie sich bemüht die Emotionen aus ihrer Stimme fern zu halten, klingt Zorn, Ärger aber auch Traurigkeit in ihren knappen Worten. „Sie hat mir eine spezielle Arznei für dich gegeben, die deine Heilung sehr beschleunigen wird. Aber du wirst wieder sehr müde werden und lange schlafen. Ich werde dir die Medizin früher geben als sonst, sonst schläfst du morgen bis in den Nachmittag hinein. Entschuldige mich, ich gehe unser Abendessen zubereiten.“ Eine völlig ungewöhnte Schroffheit überdeckt die sonst so ausgesuchte Höflichkeit Misakis. Mit einer Bewegung die ihre übliche Eleganz vermissen läßt steht sie auf und wendet sich ab. Aber in der Bewegung verhält sie und dreht sich nochmals zu Ira um. „Entschuldige, ich bin etwas im Gedanken. Möchtest du etwas?: erkundigt sie sich mit einer Spur der üblichen Zuvorkommenheit bei Ira.

Schon als Misaki herein kommt weiß Ira das etwas nicht stimmt. Ihre Haltung ist anders. Ihre Stimme klingt zornig trotzdem sie es verbergen will. Da ist auch noch Traurigkeit. Kurz angebunden fertigt sie Misaki ab. Bisher hat Ira sie nur sehr höflich erlebt. Jetzt ist sie fast schon grob. Aber Ira glaubt nicht das sich Misakis Zorn gegen sie richtet. Sie sucht noch nach Worten als Misaki aufsteht und gehen will. Aber jetzt scheint es Misaki selbst zu merken. Als sie sich umdreht und fragt schüttelt Ira den Kopf. „Danke, ich hab noch Tee und hungrig bin ich noch nicht. Aber ich möchte gern mit euch reden, wenn es euch nichts ausmacht. Ich hab über einiges nachgedacht. Wenn es der falsche Moment ist, dann wart ich gerne. Ich kann euch auch in der Küche helfen. Es geht schon ganz gut mit dem Stock." : sagt Ira und schaut Misaki an.

Für einen Moment zögert Misaki, dann nickt sie. „Das trifft sich, ich will...nein ich muß auch mit dir reden. Das Essen kann noch etwas warten.“ Sie setzt sich gegenüber an den kleinen Tisch. Ein paar Atemzüge lang schweigt sie und Ira kann an ihrenm Gesicht sehen wie schnell sie sich wieder in der Gewalt hat. Doch auch jetzt ist ein Hauch von Zorn und Trauer in der Stimme der älteren Frau. „Ich kann dir vieles nicht sagen, Ira, also frage mich bitte nicht warum. Ich bin in meinen Entschlüssen nicht wirklich frei und wurde heute eindringlich daran erinnert. So wie du deinem Land verplichtet bist, bin ich es in einigen Aspekten hier auch und ich muß meiner Gehrsamspflicht nachkommen, auch wenn sie schwerer wiegt als ein Berg.“ Misakis Haltung strafft sich. „So tue ich was ich tun muß, ohne daran den geringsten Gefallen zu finden. Ira, ich werde dich morgen zurück in das Haus bringen, in der du die erste Nacht verbracht hast. Es ist mir untersagt worden, dich auszubilden und es gibt nichts was ich tun kann außer gehorchen. Wegen deiner Gesundheit brauchst du dir keine Sorgen zu machen, die Arznei die ich dir heute verabreichen werde, wird die Heilung sehr beschleunigen. Für die nächsten Tage sehe ich auch nach dir, aber wenn du dich keinen Belastungen aussetzt, solltest du keinerlei Probleme mehr haben.“ Misaki macht eine abwehrende Geste. „Nein, bitte frage mich nicht. Ich kann dir nicht mehr sagen, es ist mir verboten. Aber sie können mir nicht verbieten, dich ins Herz geschossen zu haben, denn das habe ich und meine Türe steht dir immer offen, Ira.“ Eine einzige Träne rollt Misaki über die linke Wange.

Ira wird mit jedem Wort Misakis verwirrter. Sie darf nicht reden? Wer verbietet es ihr? Aber sie bewundert die Haltung Misakis. Sie spürt das die ältere Frau zornig und verletzt ist. Trotzdem erträgt sie es aufrecht ohne zu Wanken. Sie tut ihre Pflicht obwohl sie schwer daran trägt und das beeindruckt Ira tief. Ein bißchen ist sie erleichtert, daß sie aus dem Haus fort kommt. Aber das sie bei Misaki nicht lernen darf, das trifft sie. Sie macht sich keine Sorgen um ihre Gesundheit. Sie fühlt sich gut. Die Medizin Misakis wirkt vorzüglich. Dann hält sie es nicht mehr aus. „Aber wer….“: sie unterbricht sich mitten im Satz als Misaki ihr mit einer Geste das Wort abschneidet. Sie respektiert die ältere Frau viel zu sehr um zu widersprechen. Die nächsten Worte Misakis rühren sie zu tiefst. Auch ihre Augen werden feucht. „Danke, Misaki.“: sagt sie leise und kämpft mit den Tränen. „Ich hab euch sehr gern.“: sagt sie leise. „Es tut mir sehr leid, daß ihr wegen mir Probleme habt. Wenn es euch hilft, kann ich auch gleich gehen.“ Ira senkt den Blick. „Ich darf euch doch besuchen kommen. Nachher, wenn ich gesund bin?“: fragt sie fast schüchtern.