Chelias Pupillen werden wohl etwas erweitert sein, was den Barden jedoch nicht verwundern wird. Schließlich fordert der ständige Etrusha- und Merijha-Rauch auch sein Opfer, und dass es sich auf der Insel bei so manchem eingebürgert hat, den Tag mir Rum zu beginnen und auch zu beenden, wird wohl ebenfalls sein Schärflein dazu beitragen. Jedoch ist dies heute nicht anders als eben an jedem anderen Tag. Und so legt sich ein leichtes Schmunzeln auf ihre Lippen, als ihr der Barde so tief in die Augen blickt, ein Schmunzeln, das jedoch ebenso schnell wieder verfliegt wie es gekommen ist.
"Sind wir ehrlich," entgegnet sie, "bisher haben Die ganz genau darauf geachtet, dass wir ja nichts erfahren. Immer, wenn sie mit jemandem in Kontakt getreten sind, ist derjenige eingeschlafen oder aber hat Krämpfe gekriegt wie du eben. Wie sie mir das Teil eingepflanzt haben, habe ich auch geschlafen wie ein Kind in der Niabana. Wenn man dann jedoch irgendwelche Vermutungen anstellen will, sagen wir, mal einfach ins Blaue raten, dann ist man gleich ein elurischer Nachtwächter, der besser die Klappe hält, weil wir ja eh nichts wissen. Ist es nicht so, dass wir gerade deshalb, weil wir nichts wissen, auch so gut wie gar nichts tun?"
Sie macht sich wieder auf den Weg zum Platz der Tänzerin, spricht im Gehen weiter.
"Vielleicht sollten wir einfach, so wie es Timea gemacht hat, eine Gaststätte eröffnen, oder eine Schneiderwerkstatt, also, uns einfach irgendwie einrichten. Ich glaube einfach nicht mehr, dass wir hier so schnell wegkommen. Du darfst nicht glauben, dass ich nicht auch wissen will, warum wir hier sind. Aber ich will mich halt von dem Nicht Wissen auch nicht vollends kaputt machen lassen. Ich arbeite gerne mit dir und mit Timea und mit Tessya zusammen, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen, so ist es nicht. Aber ich muss mich echt nicht mehr mit Ataeric und Hel rumschlagen, dazu ist mir sogar die Zeit auf dieser Insel zu schade. Lieber weiß ich nichts und mache es mir gemütlich."
Leicht irritiert sieht Chelia Javero zunächst an, dann legt sich ein freilich etwas gequältes Lächeln auf ihre Lippen.
"Was weiß denn ich, ob du scherzt oder nicht," antwortet sie. "Fakt ist, dass wir die Type irgendwann irgenwie knacken müssen, sonst erfahren wir nie, warum wir eigentlich hier sind. Wobei, ehrlich gesagt, ich mir nicht ganz sicher bin, ob es uns wirklich viel bringt, eben dieses zu wissen."
Sie geht neben Javero her, nah genug, dass er sich in jedem Augenblick auf ihre Schulter aufstützen kann, sollte er noch einmal Schwierigkeiten mit seinem Gleichgewicht bekommen.
"Ich weiß, dass das alles ziemlich verstörend sein kann," fährt sie dann fort. "Aber ich glaube, dass wir uns alle viel zu viele Gedanken machen. Wir sind nun mal hier, was kommt wissen wir nicht und können es wohl auch nicht beeinflussen. Wir sollten also das Beste daraus machen. Im Moment hängen wir alle dermaßen Mandelauge hinterher, dass wir gar nicht mehr realisieren, dass unsere eigentlichen Probleme ganz andere sind. Wir beleidigen uns, wir schießen aufeinander. Das ist es, das zu lösen ist. Was Mandelauge vorhat, können wir eh nicht beeinflussen."
Sie sieht nun Javero von der Seite her an, fragend, neugierig. Wobei man freilich nicht den Eindruck hat, dass sie von dem, das sie gerade gesagt hat, nicht voll und ganz überzeugt ist.
Ob Chelia nun von diesem Gesetz gehört hat oder nicht, das mag vollkommen gleichgültig sein, zumal gerade das plötzliche Verlassen der Stadt ja in dieser Situation ein gar unüberwindliches Hindernis darstellt. Was Chelia sehr wohl mitbekommen hat, ist, dass in der Stadt Geld absolut keine Rolle spielt und das Anschreiben deshalb wohl von vorneherein als sinnlos erscheinen mag. Es sei nun dahingestellt, ob Chelia also den Witz richtig verstanden hat oder nicht, jedenfalls kann sie darüber herzhaft lachen, denn dass die Erstellung ebendieses Deckels einen fragwürdigen Sinn ergibt, trifft in beiden Möglichkeiten zu.
Dann wird sie jedoch wieder schlagartig ernst und kommt zurück auf Mandelauge zu sprechen.
"Du meinst also, die Tussi steht auf Frauen?" sagt sie. "Vielleicht sollte also ich mal versuchen mit ihr anzubandeln. Ich meine, wenn sie mit dir nicht spricht, weil du ein Mann bist, vielleicht tut sie es ja mit mir. So weit ich weiß, bin ich ja vieles, aber mit ziemlicher Sicherheit kein Mann."
Sie sieht Javero an, fragend und abwartend. Fragend, da es sie wohl interessiert, was Javero für eine Meinung zum eben gesagten hat, und abwartend, weil sie keine Ahnung hat, welche Richtung nun einzuschlagen ist, um zu dem Gasthaus zu kommen.
"Wie es aussieht, steht die wohl nicht auf niedliche Barden," antwortet Chelia mit sarkastischem Lächeln und fügt dann ernst hinzu: "Jedenfalls wissen wir nun, dass die nicht gerade zum Plauschen aufgelegt ist. Daraus könnte man ableiten, dass es absolut nichts bringt, sie zu rufen, weil sie uns doch nichts sagen würden."
Sie geht nun zu Javero hin und bietet ihm ihren Arm an, um ihm beim aufstehen zu helfen. Er erntet dabei wieder das warme Lächeln von vorhin.
"Aber du hast recht," meint sie. "Wir sollten zu Timea gehen. Auch sie sollte nicht allein sein. Und du brauchst wohl wirklich einen guten Schluck Rum, und der wird in ihrer Gaststätte wohl zu haben sein. Ich meine, fertig eingerichtet oder nicht, aber was ist eine Gaststätte ohne Rum?"
Freilich ändert sich ihr Gesichstausdruck während dem letzten Satz: das Lächeln wird breiter, belustigter. Und dies umso mehr, als sie hinzufügt: "Die Frage ist halt, ob du ohne Kohlrabi überhaupt Rum von ihr kriegst..."
Chelia schaut Javero aus großen, erstaunten Augen an.
"Gasthaus? Was für ein Gasthaus? Timea hat ein Gasthaus aufgemacht?" fragt sie verblüfft, hat sie doch von dem Ganzen nichts mitbekommen. Dann denkt sie kurz nach und fährt fort: "Also, was mit Hel ist, weiß ich nicht. Muss aber wohl was Schlimmes sein, wenn Tessya da Die rufen muss. Nur, glaubst du wirklich, wenn es Sinn macht, wenn wir uns vor Denen verstecken? Wenn die uns was wollen, finden sie uns soundso. Außer halt du willst des Gasthauses oder Timea oder Vella wegen dort hin."
Sie sieht Javero eine kleine Weile nachdenklich in die Augen.
"Was hast du eigentlich gemacht, bevor ich dich gefunden habe? Bist du wieder irgendwo runtergefallen?"
Auf Chelias Gesicht legt sich ein Lächeln, ein warmer Blick trifft die Augen des Barden. Sie nimmt einen letzten Zug von der praktisch aufgerauchten Zigarette und schnippt den Stummel weg, in der Voraussicht, dass die werten Gastgeber für eine ökologisch sinnvolle Verwertung desselben sorgen werden.
"Du liegst ständig irgendwo rum," antwortet sie. "Das stimmt. Allerdings falle ich dann aber auch ständig drüber. Also warte ich lieber hier, bis du nicht mehr hier liegst, bevor ich mir noch den Hals breche."
Sie schaut den Barden einen Moment lang schmunzelnd an.
"Nein, im Ernst," fährt sie dann eben ernster fort. "Normalerweise krümmst du dich aber nicht vor Schmerz, und normalerweise laufen hier auch nicht die komischen Gestalten rum. Beides ist für mich Grund genug, hier bei dir zu bleiben. Bei Hel, dem es anscheinend auch nicht blendend geht, ist ja Tessya, da ist für ihn gesorgt. Du wärst ganz alleine, und das darf nicht sein. Niemand darf allein und am Ende auch noch hilflos irgendwo rumliegen, wenn es irgendetwas gibt, das zur Gefahr werden könnte. Tessya meint zwar, die Typen wären hier, weil sie sie gerufen hätte, um eben dem Hel zu helfen. Sie wird dabei wohl recht haben, aber ganz sicher kann man sich halt nie sein. Am Ende befördern die den Hel ganz ins Jenseits und nehmen sich dann den Nächstschwächeren vor."
Sie zuckt mit den Schultern, dann legt sich wieder ein leichtes Schmunzeln auf ihre Lippen.
"Glaubst du, etwas Wurst und Rum würden dir dabei helfen, eben nicht mehr der Nächstschwächere zu sein?"
Chelia sieht eine ganze Weile zwischen der Straße, auf der der Trupp inzwischen verschwunden ist, und dem am Boden liegenden Barden hin und her. Die Unterlippe leidet schwer unter den Misshandlungen ihrer Schneidezähne, schließlich seufzt die junge Frau, ein lautloser Fluch geht über ihre Lippen. Dann setzt sie sich im Schneidersitz vor den Barden, zieht eine Zigarette hervor und steckt sie an. Ruhig beobachtet sie nun den Ruhenden, weicht ihm nicht von der Seite, und lässt die Soldaten Soldaten sein. Es liegt auf der Hand, dass sie dem Trupp gerne gefolgt wäre, doch scheint sie noch viel weniger den Barden alleine zu lassen. Hätte sie wohl genauso gehandelt, wäre der am Boden Liegende Timea gewesen, oder gar Hel oder Ataeric?
Also wird Chelia den Barden nicht unter den Baum zerren. Einen Augenblick sieht sie ihn an, um zu sehen, was für einen Gesichtsausdruck er macht. Ist er entspannt? Ist er leidend? Hat er wohl noch immer Schmerzen?
Den Göttern sei Dank hat Chelia ja schon bereits mitgebracht, was für eine angenehme Ruhe nötig ist, wenn auch Javero sich einen wenig geeigneten Platz ausgesucht hat. Nun, Chelia hält sich gar nicht lange damit auf, ihn zu einem Umzug zu bewegen. Stattdessen nimmt sie ihn einfach unter den Armen und zieht ihn in den Schatten eines Baumes im Garten des nächstbesten Hauses. Sie holt den Wagen, stopft ihm dann das Kissen unter den Kopf und deckt ihn mit der Decke zu. Einen Augenblick noch beobachtet sie den Barden. Er schläft inzwischen friedlich, und es hat keinen Anschein, dass ihm noch irgendetwas Schlimmes widerfahren könnte. Mal ganz abgesehen von möglichen Albträumen, aber dagegen kann Chelia ja doch nichts ausrichten. Dann spurtet sie den Soldaten nach, so schnell als möglich. Und schnell ist die gebürtige Vobrerin, die Chancen stehen also trotz allem noch recht gut, dass sie die Soldaten noch einholen würde, bevor diese bei Hel eintreffen.
(ooc: Ich werde meinen Zug trotzdem so stehen lassen. Ataeric ist im Endeffekt gleich nach Vellas Abgang aufgestanden und hat damit seinen Willen kundgetan, die Versammlung zu verlassen, wenn er auch noch eine ganze Weile rumgerannt ist. Als Timea dann das Gespräch wieder aufgenommen hat, muss er jedenfalls weggewesen sein, oder hat wenigstens nicht darauf reagiert. Tut mir leid, aber der Zusammenhang zwischen dem Abgang von Hel und Vella und dem von Ataeric, der ist einfach nicht von der Hand zu weisen, und wird deshalb wenigstens von Chelia auch so wahrgenommen.)
Nun denn, die veränderte Situation erspart Chelia ein gehöriges Maß an körperlicher Anstrengung. So bleibt der Wagen samt Polster und Decke unbenutzt stehen, und Javero erntet einen erleichterten und warmen Blick.
"Ich habe keine Ahnung, was mit dir passiert ist," sagt Chelia. "Ich wollte den Soldaten folgen, da sah ich dich auf der Straße liegen. Aber, wenn du dich dazu fühlst, sollten wir wohl den Soldaten folgen. Wer weiß, was die vorhaben. Vielleicht erfahren wir ja irgendwas. Und vielleicht ist es wirklich besser, du lässt dich von Tessya anschauen. Das hat überhaupt nicht gut ausgesehen, das kannst du mir glauben."
Man merkt Chelia nun eine innere Unruhe an, die wohl nur dadurch zu erklären ist, dass sie eben so schnell wie möglich zu den Soldaten laufen, andererseits aber auch den Barden nicht einfach so stehen lassen will. Und so geht ihr Blick immer wieder zwischen dem Trupp, der sich zusehends entfernt, und dem jungen Mann hin und her.
Wie von einer Spinne gestochen rennt Chelia auch schon zu dem Wagen. Sie nimmt die Deichsel desselben in die Hand, dann besinnt sie sich einen Augenblick. Flugs ist sie auch schon in dem Haus verschwunden, um kaum eine Minute später wieder zu erscheinen. Sie trägt ein Kissen und eine Decke, die sie in den Wagen wirft, kurz glattstreicht, dann kommt sie auch schon mit dem Wagen angerannt. Sie geht vor Javero in die Knie. Nun ist der Barde sicher kein Schwergewicht, doch auch die Kraft der jungen Frau ist nicht grenzenlos. Zwar gelingt es ihr, den zierlichen Mann hochzuheben, doch ist die große Anstrengung in ihr Gesicht geschrieben. Feuerrot ist es, die Halsschlagadern treten beinahe fingerdick hervor, Luft zu holen gelingt ihr bei dieser Anstrengung nicht. War des etwa ein kleines Lüftchen, das ihr Hinterteil gerade verließ? Nun, Javero wird es kaum mitbekommen, Chelia wird sich wenig darum kümmern, und weitere Zeugen sind ja nicht vorhanden, zumal die Truppe der eigentümlichen Krieger in der Zwischenzeit doch ein gutes Stück des Weges gekommen ist. So sanft wie eben möglich setzt Chelia Javero in dem Wagen ab. Der Kopf kommt, am vorderen Ende des Wagens, auf dem Kissen zu liegen, der Rücken auf der Decke. Leider ist der Wagen für den Barden etwas zu kurz, so dass die Unterschenkel auf dem hinteren Ende liegen, die Füße hingegen hinten in die Luft ragen. Chelia scheint sich wenig darum zu kümmern. Was hätte sie auch tun sollen? Den Wagen zu verlängern ist ihr unmöglich, die Füße zu verkürzen wäre zwar mit ihrer Asnivala eine Alternative, die jedoch kaum vorteilhaft für den jungen Mann erscheinen mag. Schon spannt sich Chelia wieder an die Deichsel, und so schnell, wie es ihr eben möglich ist, spurtet sie den Soldaten hintendrein. Der Wagen poltert über das Pflaster, der Schweiß rinnt ihr bald in Bächen über das Gesicht, und es dauert gar nicht so lange, so holt sie den Trupp der Krieger ein.
"Lasst mich durch, bitte!" ruft sie keuchend, will sie wohl keine Zeit verlieren, den Barden zu der Heilerin zu bringen.
Chelias Antwort ist zunächst ein sarkastisches Lächeln.
"Was wird wohl dabei herauskommen, wenn gerade ich Regeln aufstellen will?" fragt sie in ebendiesem Tonfall. Dann fügt sie im Plauderton hinzu: "Sorgt Euch nicht um mich. Mir geht es gut. Ihr könnt also den Verband auch gleich draufgeben, dann muss ich Euch nicht mehr länger aufhalten."
Sie dreht den Kopf zu Tessya, ein freundliches Lächeln legt sich auf ihre Lippen.
"Dankeschön, ich schätze es sehr, wie Ihr Euch um mich kümmert," meint sie. "Und sagt nicht, das würde jede Mehdori tun, denn Ihr wisst, dass das nicht wahr ist. Ich hoffe, ich kann Euch Eure Mühen irgendwann irgendwie zurückzahlen, wenn es mir im Moment auch nicht klar ist, wie ich das bewerkstelligen sollte. Ihr sollt nur wissen, wenn Ihr etwas braucht, ich bin stets für Euch da."
Nun wäre Chelia freilich gerne zu Anführerin gegangen, um eben diese in ein Gespräch zu verwickeln. Aber manchmal passieren eben Dinge, die einen von dem ursprünglichen Plan abhalten. Und so ist es auch dieses Mal, und zwar in Form eben dieser, am Boden liegenden Gestalt, die Chelia auf den ersten Blick erkennt, und die infolge dessen auch ihre gesamte Aufmerksamkeit geschenkt bekommt. In zwei Sätzen ist sie bei der Gestalt, nimmt ihre Hand, wenn diese infolge der spastischen Anfälle auch recht schmerzhaft zusammengedrückt werden könnte. Ein besorgter Blick geht in das schmerzverzerrte Gesicht, dann sieht Chelia sich um. Und wieder scheint der Weitsicht der Gastgeber keine Grenzen gesetzt zu sein, findet sie doch in gar nicht großer Entfernung einen Handkarren.
"Tessya ist bei Hel," sagt Chelia dann zu der Gestalt. "Ich hole jetzt die Karre, dann bringe ich dich hin. Wenn jemand weiß, was zu tun ist, dann ist sie es. In Ordnung? Ich bin gleich wieder bei dir."
Chelia macht vorerst noch keinerlei Anstalten, sich zu erheben und die Versammlung zu verlassen. Stattdessen seufzt sie tief und schenkt Javero einen ernsten Blick.
"Schau, Javero," sagt sie dann, "ich bin hierher gekommen, obwohl ich von Hel reichlich wenig halte, obwohl Ataeric mich fast totgeschossen hätte. Ich bin hierhergekommen, eben um in der Gruppe einen Entschluss zu fassen. In der Gruppe wohlgemerkt. Wenn ich aber nach nicht einmal fünf Minuten aufs Tiefste beleidigt werde, ohne mich vorher in irgend einer Weise beleidigend benommen zu haben, dann weiß ich nicht, was meine Anwesenheit bringen sollte. Ich arbeite gern mit jedem zusammen, der mit mir zusammenarbeiten will. Wenn dieser Wille aber nicht da ist, dann sehe ich nicht, was meine Anwesenheit bringen soll, zumal genau derjenige, der mich grundlegend ablehnt, derjenige ist, der es sich anmaßt, für die gesamte Gruppe zu entscheiden. Und da muss ich einfach sagen, da liegt der Ball an Hel Nergal. Wenn er die Gruppe führen will - und ich gebe zu, ich bin keineswegs glücklich darüber, wenn er es tut - dann muss er auf jedem Fall so weit sein, für die gesamte Gruppe zu agieren, und nicht nur für die, die ihm gerade zu Gesicht stehen. Ansonsten soll er sich auf seiner Veranda mit Rum vollschütten und mich in Ruhe lassen."
Sie zieht eine neue Zigarette hervor und steckt sie an. Dann schaut sie zu Tessya.
"Das ist freilich etwas, das wir versuchen könnten," meint sie. "Was wir dann noch versuchen sollten, ist, die Berge zu erkunden. Ich meine, Berge sind oft besondere Orte. Vielleicht finden wir ja auch da was, das uns dem Ganzen etwas näher bringt."
Ihr Blick schweift über die Anwesenden.
"Ich weiß, das klingt jetzt blöd, aber ich glaube, wir sollten einfach unsere eigenen Überlegungen anstrengen, unabhängig davon, was Hel sagt und tut. Wer sagt uns, dass er uns nicht nur das mitteilt, das nötig ist, um sein eigenes Wissen zu erweitern, während er uns grundlegende Dinge verschweigt? Ich will die Gruppe nicht spalten, aber heute haben wir eines gesehen: Hel Nergal hat Widerworte erhalten und ist abgedampft, und mit ihm sind zwei Personen ebenfalls verschwunden, um eben ihre eigene Suppe zu kochen. Das ist nicht schön, aber was die können, müssen wir auch können. Sonst wird es eben so sein, dass Hel, Ataeric und Vella den Vorteil für sich nutzen, und wir eben durch die verfrellte Röhre schauen."
Chelia sieht zu Timea. Sie zuckt mit ihrer gesunden Schulter und seufzt.
"Ihr habt schon recht," meint sie, "es würde uns schon eine Menge Zeit sparen, wenn wir Die einfach zu einer Tasse Tee einladen könnten. Allerdings müssten wir sie halt so weit kriegen, dann auch zu kommen, und das heißt wiederum, dass wir wissen müssten, was ihnen wichtig ist. Und um das rauszukriegen, brauchen wir eben dieses verfrellte Muster, wann die sich bequemen, sich zu zeigen. Und bis dahin sind wir wohl zum weiterwursteln verdammt."
Dann sieht sie zu Javero, und vielleicht zum ersten Mal verfinstert sich ihr Blick, während sie den Barden betrachtet.
"Das solltest du demjenigen sagen, der nicht imstande ist, eine ordentliche Versammlung durchzuführen, ohne die einen zu beleidigen, die anderen zu ignorieren und dann beleidigt abzuziehen, sobald er Gegenwind verspürt. Dem ist die Gruppe so viel wert wie mir, was mit meinem allmorgendlichen Schiss passiert. Der will Macht, nichts weiter, und wenn wir ihm genug gesagt haben, haut er ab und wir bleiben hier. Ich bin zu Zusammenarbeit bereit, das sind alle, die hier noch sitzen, denke ich. Aber es soll eine Zusammenarbeit sein mit allen, eine ehrliche Zusammenarbeit, und solange der werte Herr Nergal dazu nicht fähig ist, dann ist es weder meine, noch Tessyas und schon gar nicht Timeas Schuld, wenn es nicht funktioniert. Dann soll er halt mit denen, die ihm eh schon in den Arsch kriechen Kindergeburtstag feiern."
Bald ist das Loch in der Scheibe so groß, dass die beiden halbwegs komfortabel hindurchsteigen können. Chelia steckt die Asnivala wieder in die Scheide und legt ihre Hände auf den Sims vor dem Fenster. Einen kurzen Augenblick hält sie inne, als Tessya ihr widerspricht.
"Wenn Ihr meint," sagt sie dann ruhig, doch skeptisch, während sie durch das Fenster steigt. "Ihr rennt vor zu Hel, ich werde die Gruppe begleiten. Es bringt nichts, wenn wir beide bei Hel rumstehen. Vielleicht sagen sie ja auf dem Weg irgendwas."
Sie springt auf der anderen Seite des Fensters zu Boden, wartet kurz, bis auch Tessya durch die zerborstene Scheibe ist, dann, und sofern sie nicht zurückgehalten wird, rennt sie der Gruppe nach. Diese marschiert seelenruhig dahin, also dauert es nicht lange, bis sie sie eingeholt hat. Sie überholt die Männer und gesellt sich dann zu der mutmaßlichen Anführerin. Einige Schritte geht sie schweigend neben ihr her, dann dreht sie den Kopf zu ihrer Seite.
"Sichàra," grüßt sie mit ernstem Gesicht, doch freundlicher Betonung.
"Ich bin mir sicher, hier war irgendwo eine Treppe zum..." beginnt Chelia verwundert, ehe die Tür ins Schloss fällt und sie urplötzlich zum Schweigen bringt. Sie fährt herum, und mit einem Satz ist sie wieder in dem Vorraum. Schräg hinter Tessya bleibt sie stehen.
"Wirklich? Schon wieder?" ruft sie mit vorwurfsvoller Stimme. "Lasst Euch doch mal was Neues einfallen! Immer nur einsperren ist doch langweilig! Ihr habt doch mehr drauf!"
In diesem Augenblick ist das Geräusch schwerer Stiefel auf dem Pflaster zu vernehmen. Nun ist es ja so, dass von den Insulanern nur Ataeric und Chelia selbst gemeinhin Stiefel tragen. Alle anderen beschränken sich ja auf Sandalen oder gar auf nackte Füße. Dementsprechend naheliegend ist die Schlussfolgerung, dass dieses Geräusch kaum von den Inselbewohnern stammen kann, denn Ataeric alleine kann doch kaum solch eine Geräuschkulisse erzeugen. Chelia springt zum nächsten Fenster und kann auch schon die Gestalten sehen.
"Bei allen Göttern," ruft sie erschrocken aus. "Das ist eine Invasion! Wir müssen hier raus! Wir müssen den anderen helfen!"
Sie dreht sich zu Tessya um, ihr Blick ist besorgt, doch ebenfalls entschlossen und voller Tatkraft. Angst ist jedoch keineswegs darin zu erkennen.
"Wir müssen eines der verfrellten Fenster einschlagen!"
Sie zieht die Asnivala und macht sich daran, mit dem Knauf die Fensterscheibe zu zertrümmern. Die Echsen, von denen Chelia nun zum ersten Mal gehört hat, müssen sich nun hinten an stellen. Die unheimlichen Gestalten drängen sie in den Hintergrund, und Chelias Gedanken scheinen ausschließlich bei der akuten Gefahr zu sein und dem Willen, sich dieser entgegenzustellen. Dass es eine sichere Fahrkarte auf die Eisfelder Yoroms darstellt, sich allein, mit noch immer beeinträchtigtem Kampfarm, gegen sechs gutgerüstete Kämpfer zu stellen, die womöglich auch noch mit dunklen Mächten in Kontakt stehen, das scheint ihr vollkommen gleichgültig zu sein.
Chelias Lippen verziehen sich zu einem belustigten Grinsen, als Tessya Denen ein Versteckspiel vorschlägt. Auch sie sieht sich um. Das Haupthaus scheint dazuliegen wie seit eh und je: Die Treppe, die nach oben führt, der Flur, an denen die Büros liegen, die Tür, hinter der die Kellertreppe abwärts geht. Und natürlich der ausladende Eingangsraum, in dem die beiden stehen. Nun ist es ja so, dass Chelia von dem Vorfall mit den Echsen und Ataeric noch gar nichts mitbekommen hat. Dabei war sie nicht, und sich gar irgendwann nach Ataerics Wohlbefinden zu erkunden, das würde ihr aus wohl verständlichen Gründen im Traume nicht einfallen. Dementsprechend entspannt geht sie nun auch in dem Raum hin und her, sucht wohl nach Spuren irgendeiner scheinbar verborgenen Anwesenheit. Schließlich geht sie zu der Tür, die in den Keller führt, und drückt auf die Klinke. Ist diese Türe etwa auch unverschlossen, so wie sie das Haupthaus als solches vorgefunden haben?
"Ataeric meinte, da unten müsse etwas Interessantes sein. Wenigstens sind Hel und er von da unten in diese Welt gekommen," erklärt sie dabei.
Chelia sieht noch immer reichlich verwundert drein, besonders als Vella und Ataeric ebenfalls den Versammlungsplatz verlassen. Dann jedoch kehrt sie selbst wieder die wenigen Schritte zu demselben zurück.
"Wenigstens wissen wir nun, wer wo steht," murmelt sie mehr zu sich selbst als zu jemand anderem und setzt sich ebenfalls vor den Plan. Sie wartet ab, bis Timea ausgeredet hat, dann zeigt sie auf zwei Stellen.
"Ich habe die Tussi ebenfalls zwei Mal gesehen. Einmal hier," sie zeigt zu dem Platz mit dem Brunnen, "zusammen mit uns allen eigentlich. Und dann hier," sie zeigt auf das Badehaus, "zusammen mit Tessya. Dann waren einmal die Lichter, also ohne Mandelauge, das war mit Ataeric, da waren wir hier." Sie zeigt nun auf einen Punkt in der Nähe des Haupthauses.
Sie schaut die Runde durch den verbliebenen Rest der Gruppe.
"Am Anfang, also, wann die Geschenke aufgetaucht sind, hatte ich ja den Eindruck, wir würden sie immer dann kriegen, wenn sich ein Konflikt anbahnt. In meinem Fall ist Mandelauge aber immer dann erschienen, wenn es eigentlich ziemlich harmonisch war. Ich meine, Javero und Timea haben sich gut unterhalten, ich wenigstens hatte keinen Groll gegen irgendjemanden. Und im Badehaus hatten wir eigentlich soundso einen Heidenspaß. Mit Ataeric, da gab es einen kleinen Streit, da hat er mich angemacht, ich würde nichts tun, um hinter das Geheimnis zu kommen. Aber da war ja Mandelauge nicht präsent."
Sie zuckt mit den Schultern, macht eine kurze Pause und fährt dann fort: "Könnt Ihr Euch erinnern, was gerade war, als sie Euch erschienen ist? Ich meine, vielleicht liegt das Muster ja nicht darin, WO sie erscheint, sondern WANN sie erscheint."