Forum Übersicht - RE: Der nächste Tag - 2

Hel starrt sie an wie vom Donner gerührt, wie sie da steht, bleich vor Angst und der Panik nahe und er weiß, daß er es ist, den sie so fürchtet. Es ist ihm als würde ihm eine Nagel durch das Herz getrieben. Hel ist hart geworden, zu sich selbst und zu anderen, aber jetzt ist er den Tränen nahe. Er sieht in ihre weit aufgerissenen Augen, mit denen sie ihn ansieht, als wäre er ein Dämon aus den tiefsten Abgründen der Verdammnis und er hört ihre Worte. Er weiß das es keinen Sinn hat, ihr zu sagen, daß sie sich nicht fürchten muß. Genauso gut hätte er versuchen können eine Stein dazu zu überreden von seinem Platz zu weichen. Er wäre zu viel mehr bereit als zu einem Eid im Namen einer Göttin von der er sich abgewandt hat um ihr auch nur einen Teil ihrer Angst zu nehmen. Also räuspert er sich, um seine Kehle frei zu bekommen und dann spricht er die rituellen Worte, laut und deutlich.
„Ich schwöre im Namen derer, die im Schatten thront, die am Anfang war und die am Ende sein wird, daß ich dir Vella kein Leid zufüge und die Wahrheit sagen werde. Möge Lijan über mich kommen und mich mit ihrer Rache schlagen, mich ausspeien und zertreten, wenn ich diesen heiligen Eid breche.“
Langsam streckt er die Hand mit der Waffe von sich, geht einen Schritt zurück und legt die Asnivala auf einen Tisch.
„Ich nehme jetzt meinen Dolch aus dem Gürtel und lege ihn zu der anderen Klinge. Dann gehe ich zurück. Du kannst die Waffen an dich nehmen wenn du möchtest.“
Langsam tritt er zurück, bis die Klingen aus seiner Reichweite sind und wartet.

Als Hel den Namen der dunklen Göttin in seinem Schwur ausspricht, fällt Vella ein Stein vom Herzen. Ihre verkrampften Muskeln entspannen sich. Ihr Atem wird gleichmäßiger. Er hatte geschworen! In Lijans Namen! Mehr Sicherheit gibt es nicht für sie. Für einen Moment wird ihr schwindlig. Sie hat ihre Angst besiegt! Nicht ganz, aber einen großen Teil. Langsam kommt sie zwischen den Bäumen hervor. Geht den Weg bis zu den Stufen. Dort bleibt sie für einen Augenblick stehen. Erst dann steigt sie die drei Stufen hoch. Sie ist vorsichtig. Die Waffen auf dem Tisch rührt sie nicht an. Ein paar Schritt vor Hel bleibt sie stehen. Es ist lange her, das sie ihm so gegenüber gestanden hat. Er hat sich überhaupt nicht verändert. Er sieht nicht viel anders aus, als damals in Esticha. Nur das Schandmal und der Bart fehlen. Wie konnte das sein? Jetzt traut sie sich ihm in die Augen zu sehen. Nichts ist darin von der eisigen Kälte ihres letzten Zusammentreffens in Vorovis. Es verwirrt sie. Doch sie nimmt sich zusammen. Eine seiner Masken, mehr nicht. Sie muss vorsichtig sein. „Sichara.“: sagt sie und ihre Stimme kratzt ihr im Hals.
„Hel ich bin zu dir gekommen, weil ich Antworten brauch. Ich will wissen was mit mir passiert ist. Was mit Vorovis ist und ..“
Sie schluckt, um den Knoten in ihrem Hals weg zu bekommen. „..und noch einiges mehr.“ Sie ist nicht mehr so verkrampft, aber immer noch sehr angespannt.

„Sichara Vella, es freut mich dich zu sehen, aber noch mehr freut es mich das du mit mir sprichst. Ich hatte keine Hoffnung mehr, dass es irgendwann geschehen könnte. Bitte, setz dich doch.“ Sein Lächeln ist sanft und die Stimme verrät seine Bewegtheit. Mit einer einladenden Geste weist er auf die leeren Stühle. Er bewegt sich nur langsam und ohne plötzliche Gesten, denn er will sie nicht erschrecken, die äußerst zerbrechliche Basis, auf der sie sich jetzt bewegen, nicht zerstören. Bedächtig setzt er sich auf den Stuhl, der am weitesten von ihr entfernt ist. Als sich ihre Blicke kurz treffen, überlagern sich Vergangenheit und Gegenwart. Hel hat Mühe sich zu beherrschen, viel zu sehr wühlt ihn ihre Nähe, die Erinnerungen und auch die Schuldgefühle, die daran geknüpft sind, auf. Ihre Schönheit schneidet wie ein Messer, ihre Angst ist Salz in dieser Wunde und seine nie ganz erloschene Zuneigung das Fleisch, das blutet.
„Ich werde dir alles erzählen was ich weiß, ohne etwas fortzulassen oder hinzuzufügen. Aber ich war nicht überall dabei, hatte nicht überall Einblick. Aber ich kann mich gut erinnern, als die Vorovna eingelaufen ist, auf der du Esticha Richtung Vorovis verlassen hast. Der Kapitän hat die Türe zu deiner Kabine aufbrechen lassen, als du eine Nacht und einen Tag kein Lebenszeichen von dir gegeben und auf nichts reagiert hast. Die Türe war von innen verschlossen, das haben die Matrosen unter Eid ausgesagt, und du warst verschwunden. Der Jamachan hat sofort eine Untersuchung eingeleitet und vermutet, daß Verrat im Spiel war. Aber alle Untersuchungen verliefen im Sande. Offiziell wurde dann verlautbart, du seist in der Nacht der Überfahrt über Bord gefallen und du wurdest für tot erklärt. Ich habe veranlaßt, daß dein Name in die Ehrenliste aufgenommen wurde. Das war vor neun oder mehr Jahren. Ich bin mir selbst nicht mehr sicher, weil der Teil meiner Erinnerung, die sich auf die Zeit nach der großen Schlacht bezieht, große Lücken aufweist. Es kann auch vor zwölf Jahren gewesen sein.“

Erst als Hel sich niedergesetzt hat, setzt sie sich auch. Sie sitzt nur auf der äußersten Kante des Sessels. Sprungbereit. Sein Benehmen verwirrt sie. Oft hat sie sich vorgestellt, wie es wäre vor ihm zu stehen. Sie war auf alles vorbereitet. Aber darauf nicht. Sie mußte aufpassen! Sich nicht um den Finger wickeln lassen. Als sie sich kurz in die Augen schauen, sieht sie immer noch nichts von seiner abscheulichen Kälte. Theater, das ist Theater. Das macht er nur um sie zu beruhigen. Wie sehr hat sie sich damals gewünscht, ihn so reden zu hören. Keinen Kommandoton, kalte herzlose Worte. Sie zwingt sich, nicht daran zu denken. Sie konzentriert sich nur auf das was er sagt. Er hat sie in die Ehrenliste eintragen lassen. Wenn es stimmt, warum hat er das gemacht? Er spielt wieder seine Spiele! Es kann gar nicht anders sein. Aber das brennende Verlangen nach Erklärungen bringt für den Moment alles anderes zum Schweigen. Die Fragen sprudeln einfach aus hier heraus:
„Dann bin ich einfach so verschwunden? Wo war ich? Wenn so viele Jahre vergangen sind, wieso bist du nicht älter geworden. Du siehst genauso aus wie ich dich das letzte Mal in Esticha gesehen hab. Was ist mit deinem Schandmal? Was ist mit Vorovis passiert? Sie haben mir erzählt, das die Stadt zerstört ist. Was ist mit den wilden Sragons? Sags mir Hel!“

Bedauernd schüttelt Hel den Kopf.
„Ich weiß nicht wo du die ganze Zeit über warst Vella. Niemand weiß es, ausgenommen das was dich verschwinden hat lassen. Ich bin älter geworden, mein Leben ging weiter nachdem du fort warst. Mein Haar wurde grau und ich habe ausgesehen, wie mein eigener Großvater. Es ist geschehen, als ich hier her gebracht wurde. Ich sehe jetzt mindestens um eine dutzend Stürme jünger aus. Mein Schandmal ist verschwunden, wie meine ganzen Narben. Hier läuft Einer herum, der alles von sich vergessen hat. Ich habe meine Erinnerungen noch, bis auf die letzte Zeit in Elurien, an die ich mich nur sehr lückenhaft erinnern kann.“
Er läßt ihr Zeit diese Ungeheuerlichkeiten zu verdauen. Erst nach dieser kleinen Pause spricht er weiter und er versteckt seine Gefühle nicht hinter der Maske kühler Gelassenheit, die er sonst zwischen sich und die Welt stellt. Trauer, Bitterkeit und Schmerz zeichnet sich auf seinem Gesicht ab.
„Sie haben dich nicht angelogen,Vella. Vorovis ist untergegangen. Aber wir sind keinem Feind unterlegen, es war Kristallmagie, die uns den Untergang brachte.“
Er schildert ihr die letzten Stunden ihrer Heimat, so wie er es von den Flüchtlingen gehört hat. Erzählt von der Gefangenschaft auf dem Kriegsfloß der Sragons und ihrer Flucht, von dem Zusammentreffen mit den Flüchtlingen, die über den großen Fluß entkommen waren. Er legt ihr seine Gründe dar, die ihn dazu bewogen hatten, nach Elurien zu marschieren. Schildert ihr die große Schlacht, erzählt vom Opfergang ihrer Landsleute und vom letzten Sieg den sie unter den roten Fahnen errungen hatten. Er verschweigt auch seine Fehleinschätzung der Lage nicht, daß es keine Schiffe im Tausch gegen vorovisianisches Blut gegeben hatte um heimzukehren, berichtet ihr von den Verhandlungen, die zum Bündnisvertrag mit Elurien und der Gründung der Enklave vor den Mauern der Ketzerstadt geführt hatten, erzählt ihr von der Schande, die sie auf sich genommen hatten, um das Überleben ihres Volkes zu sichern und dem kargen Leben in der Enklave. Schließlich verstummt er für einen Moment, den er braucht um weitersprechen zu können.
„An das was weiter geschehen ist kann ich mich nur so bruchstückhaft erinnern, daß es keinen Sinn ergibt. Es tut mir leid Vella das ich dir nichts Besseres berichten kann.“

Es will nicht in ihren Kopf hinein. Trotzdem ist es so. Für ihn war die Zeit weiter gegangen, die ihr gestohlen wurde. Warum? Warum nur? Aber alles wird unwichtig, als er von Vorovis erzählt. Tränen rinnen ihr über die Wangen. Sie glaubt in einen bodenlosen Schacht zu fallen. Vorovis ausgelöscht! Heimatlos! Sie kann es nicht fassen. Schluchzend schlägt sie die Hände vors Gesicht. Alles in ihr ist leer. Nur der Schmerz ist da und die Tränen. Aber auch die versiegen irgendwann. Sie nimmt die Hände vom Gesicht. Durch den Tränenschleier sieht sie Hel. Er sitzt immer noch da. Sie wischt sich die Tränen von den Wangen. Der erster klarer Gedanke kommt ihr in den Sinn. Er hat es nicht ausgenutzt, als sie nicht aufgepaßt hat! Sie schaut ihn an. Hat er nur Angst vor seiner Göttin? Sicher! Es kann gar nicht anders sein. Sie setzt sich wieder hin wie vorher. Um den Schmerz auszusperren, denkt sie über Hels Bericht nach. Langsam zieht eine ganze Reihe von Fragen durch ihren Kopf.
„Ist das das Ende Hel? Haben wir alles verloren?“
Sie kämpft wieder mit den Tränen. Aber dann fragt sie. Es brennt ihr auf der Zunge.
„Wieso sprichst du immer vom Herrscher? Du warst Prokurator und führst die Armee? Du verhandelst? Was ist mit den Fünf?“
Sie schaut ihn aus rotgeweinten Augen an.

Es hat Hel viel Selbstüberwindung gekostet nicht aufzustehen und ihr einfach übers Haar zu streichen und sie zu trösten so gut er es vermochte. Aber er riskiert es nicht. Wie leicht konnte sie es mißverstehen. So bleibt er sitzen und leidet mit ihr. Als sie nach einer Ewigkeit die Hände vom Gesicht nimmt und sie die Tränen wegwischt, nimmt er ein Tuch das auf dem Tisch liegt und legt es ihr an den Rand des Tisches.
„Das Ende ist es vielleicht nicht, Vella.“. sagt er sanft. „Vorovis ist nicht vollständig zerstört, nur das Hafenviertel. Die anderen Stadtteile sind mehr oder weniger beschädigt und ich kann mich an Berichte erinnern, daß Vobra nicht ganz besetzt ist. Im Hinterland gibt es noch freie Dörfer und Städte, die Widerstand leisten und da sind vielleicht auch noch die Flüchtlinge in Elurien. Vielleicht ersteht Vorovis neu, aber es wird Generationen dauern, bis wieder eine Flotte unter unseren Fahnen den Metcha beherrscht.“
Er hört sich ihre Fragen an.
„Das ist eine lange Geschichte. Es begann mit einem Geheimtreffen das Detori einberief, vielleicht ein Jahr nach deinem Verschwinden.“
Er beginnt von der Verschwörung zu erzählen, um den Hierophanten zum Alleinherrscher zu machen. Er berichtet von den jahrelangen Vorbereitungen, von Absprachen und Bündnissen, vom Tag des Losschlagens am Geburtstag der Kanzlerin, von den Gefechten in der Stadt, vom Sieg der Aufständischen und der Zerschlagung des Jamachans. Er erzählt ihr von Detori und seiner Erhebung zum Reichsprovisor und Kommandanten der Streitkräfte, seinen Plänen und Maßnahmen für ein neues Vorovis, von dem Notfallsdekret des Warriagthrones, die ihn zum Stadthalter im Exil gemacht hatten.
„Wir wollten einen neues Vorovis schaffen, stärker und gerechter und einiges haben wir auf den Weg gebracht, doch dann kamen die Sragons. Was ich dir jetzt erzählt habe, ist noch immer ein Staatsgeheimnis, also bitte behalte es für dich.“

Sie versteht genau. Er sagt es nur in schöneren Worten. Für sie ist Vorovis verloren. Selbst wenn sie einmal zurück gehen konnten. Ihre Heimat war ausgelöscht. Sie nimmt das Tuch, das er ihr hingelegt hat. Sie wischt sich die Tränen weg. Zuerst kann sie gar nicht glauben was sie hört. Verschwörung gegen die Fünf? Ein Putsch? Verrat? Ihr Zorn verdrängt alle Angst. Als Hel fertig ist, springt sie auf. Sie schreit ihn an:
„Ihr habt geputscht, die rechtmäßigen Herrscher gestürzt? Ein Blutbad in Vorovis angerichtet? Erzähl mir doch nichts von einem neuen Vorovis! Macht, das wolltest du! Dafür hast du immer alles getan! Du spielst mit Menschen! Nützt sie aus für deine Zwecke. Du bist ein Mörder! Ein machtgieriger, kaltblütiger Mörder! Ein Giftmischer, ein gottloser Ketzer und ein Verräter dazu!
Du schreckst vor nichts zurück! In Esticha hast du sogar deine Glaubensbrüder ans Messer geliefert! Nur um am Leben zu bleiben! Ich verabscheue dich, du..du..“
Sie findet keine Worte mehr. Sie ist so wütend, daß nicht einmal daran denkt, fort zu laufen.

Hel läßt den Ausbruch über sich ergehen. Er ist nicht so ruhig wie er da sitzt, alles in ihm ist in Aufruhr. Er wollte es ihr niemals sagen, doch jetzt muß er. Mit ihrem Haß hätte er leben können, aber nicht damit, daß sie an diesem Haß zerbricht. Er spricht leise, aber seine Stimme ist rauh von den widerstrebenden Gefühlen, die er kaum bändigen kann.
„Du hast recht Vella, ich bin all das was du sagst. An meinen Händen klebt Blut, viel Blut, aber ich habe Medivh und die Anderen nur deswegen verraten, damit sie aufhören, dich zu foltern. Sie haben mich zusehen lassen, wie sich dich gemartert haben. Ich hab sie angefleht, mich zu nehmen und sie haben nur gelacht. Dann habe ich meine Freunde verraten und sie haben weitergemacht. Ich habe ihnen angeboten alles zu unterschreiben, jeden zu denunzieren, den sie haben wollten….
Es schnürt ihm die Kehle zu und nur mit Mühe spricht er weiter.
„Ich habe keinen Augenblick geglaubt, dort lebend heraus zu kommen. Das ist die Wahrheit, Vella.“
In dem Moment zerbröckelt seine Maske völlig.

Zuerst ist es nicht das was er sagt. Es ist sein Gesicht. Sie sieht Hel. Sie sieht den Mann hinter der Maske. Zum ersten Mal seit vielen Jahren. Sie schaut ihn aus großen Augen an. Nur langsam dringen die Worte zu ihr durch. Sie fühlt sich auf einmal schwach. Ihre Knie sind weich. Sie lässt sich auf den Sessel plumpsen. Sie schüttelt den Kopf. Nein, das konnte nicht sein. Die schrecklichen Tage und Stunden holen sie ein. Sie kann die heißen Eisen fast riechen. Wenn er die Wahrheit sagt….. Erschüttert schaut sie ihn an. Sucht nach einer Lüge in seinen Augen. Erinnert sich an die kurze Zeit, die sie ihnen gegeben hatten. Vor der öffentlichen Verhandlung.
„Aber..du hast doch gesagt…es ist alles in Ordnung! Du..hast doch gewusst, dass sie dir nicht tun. Hel..bitte sag mir die Wahrheit.“
Ihre Wut ist verschwunden. Bittend schaut sie ihn an. Wartet auf ein Wort von ihm.

Hel beugt sich leicht vor.
„Ich weiß, Vella. Ich habe gesagt, es ist alles in Ordnung. Aber nur um es dir nicht noch schwerer zu machen als es war. Ich war sicher, daß ich zu meiner Hinrichtung gehe und wollte dich ein letztes Mal in den Armen halten, ohne Tränen und ohne Schmerz. Es ist wahr, Vella, ich lüge dich nicht an.“
Er hat aufgehört sich und sein Mienenspiel zu kontrollieren und es ist ihm gleich geworden, wie tief sie sehen kann.
„Ich habe vieles von dem getan was du mir vorwirfst, das streite ich nicht ab. Aber ich habe mich nicht von der Inquisition losgekauft. Das hätte ich niemals getan. Medivh war mein Freund, nicht nur irgendein Lijani. Vella, wenn du mich hassen mußt, dann hasse mich. Aber hasse mich bitte nicht für etwas das ich nicht getan habe.“
Hel läßt sich wieder zurück in seinen Sessel sinken. Er hat gesagt was er sagen mußte. Jetzt lag es an ihr, ob sie ihm glaubte.

Sie schaut ihn nur an. Sieht so vieles, das sie so sehr gewollt hat zu sehen. Damals und auch noch eine Zeit danach. Er lügt nicht, das spürt sie. „Warum hast du es mir nicht gesagt, Hel. Warum?“
Sie schüttelt den Kopf. „Was hast du nur aus uns gemacht? Hast du geglaubt, ich wär zu schwach für die Wahrheit?“
Tränen stehen in ihren Augen.
„Ich hab zu zweifeln begonnen, an dir. Du bist geflüchtet. Du hast mich allein gelassen. Und ich hab gedacht, du hast mich weggeworfen. So wie deine Freunde. Hätte ich gewußt, daß du es für mich getan hast, hätte ich es nur gewußt.“
Es tut so weh, daß sie schreien könnte.
„Aber das ist nicht alles. Du warst so kalt, so besessen von Rache, Haß und Macht. Ich hab manchmal Angst vor dir gehabt, schon in Esticha. In Vorovis war alles noch viel schlimmer. Und mein Bruder. Den hast du auf dem Gewissen! Hättest du ihm nicht geschrieben! Er wär nicht fort gegangen.“
Sie spürt wieder den alten Zorn.
„Du und deine verfluchte Göttin! Sie hat alles kaputt gemacht. Alles! Du hast sie über alles gestellt. Über mich, über Khaled, über jeden. Du bist besessen von ihr! Tötest und betrügst in ihrem Namen. Wofür Hel? Wofür?“
Die letzten Worte schreit sie fast.
„Deswegen hasse ich dich. Das du dich auffressen hast lassen. Alles zerstört hast, dich am Meisten.“

Hel senkt den Kopf für einen langen Augenblick, als er ihn wieder hebt und Vella ansieht, ist sein Gesicht von Schmerz und Schuld gezeichnet.
„Ja, ich weiß das ich schuld bin, das sie dich verhaftet haben. Ich hätte wissen müssen, daß dich dein Unwissen nicht vor ihnen schützt und ich habe dir in dem Folterkeller nicht die Wahrheit gesagt. Es war falsch. Du hast recht, ich war von Haß und Rache zerfressen, Vella, und ich wollte Macht. Ich bin ihr nachgejagt, fast mein ganzes Leben lang und als ich sie dann hatte, dann erst wurde mir bewußt, daß in diesem goldenen Gefäß nur Sand ist, das den brennenden Durst nicht löscht. Aber an Khaleds Tod trage ich keine Schuld. Ich habe ihm geschrieben. Du kanntest ihn besser als ich, er war dein Bruder. Er hat jedesmal Streit angefangen, wenn er betrunken war. Er ist niemals bis nach Esticha gekommen. Er wurde in einer Kneipenschlägerei, bei dem er einen Mann erstochen hatte, getötet. Ich habe es erst Wochen nach seinem Tod erfahren.Auch das ist die Wahrheit.“
Er fährt sich in einer müden Geste über die Augen.
„Vella ich bin nicht mehr der, der ich einmal war. Ich weiß heute Vieles, das ich damals nicht wußte.
Als ich meinen letzten Freund mit allem Pomp den Vorovis aufbieten konnte, zu Scheiterhaufen geleitet habe, da verstand ich, das noch so viel Macht kein Ersatz für Freundschaft ist. Ich habe Dinge gesehen, die mich immer noch aus dem Schlaf hochfahren lassen. Die brennenden Asharis auf der Skaut, die wie flammende Motten ins Nichts fielen, fast tausend Gefallene vor Esticha, die ich in den Tod geschickt habe. Ich bin des endlosen Tötens so müde. Es entschuldigt nichts was ich getan habe, das weiß ich nur zu gut. Du hast auch recht mit dem was du über Lijan gesagt hast. Ich habe mit ihr gebrochen, ich diene ihr nicht mehr. Ich war viel zu lange ihre Spielfigur.“

Sie kann es nicht glauben, als er es zugibt. Wie oft haben sie geredet? Wie oft hat sie gebettelt, die Rache sein zu lassen. Sie will ihn schon anfauchen, als er über ihren Bruder redet. Aber sie weiß, das er unausstehlich war, wenn er betrunken war. Sie glaubt was sie hört, aber sie will es nicht glauben. Alles kommt durcheinander in ihr. Was solang richtig war, scheint falsch. Sie kommt sich vor, als schüttet ihr jemand abwechselnd Eiswasser und heißes Wasser auf den Kopf. Hostinos! Warum hast du ihn nicht früher zum Einsehen gebracht! In ihrem stillen Gebet überhört sie fast, was er zum Schluß sagt. Jetzt ist sie wie vor den Kopf geschlagen.
„Du hast deiner Hexengöttin abgeschworen? Ist das wahr? Du hast doch geschworen! In ihrem Namen!“

„Es ist wahr. Ich diene ihr nicht mehr.“: sagt er fest. „Nie wieder, das ist endgültig vorbei.“
Es ist ein sanftes fast scheues Lächeln, das sich für einen Moment auf seinem Gesicht zeigt.
„Vella, ich hätte auf Chiskel, auf Admiral Droma oder auf eine Lastechse geschworen, wenn du es verlangt hättest. Die Worte haben keine Bedeutung mehr für mich. Nichts bindet mich mehr an diese dunkle Göttin. Aber es hat dir deine panische Angst genommen. Deswegen habe ich es getan und ich würde auch hundert Mal schwören, wenn es dir hilft.“