Forum Übersicht - RE: Bei Misaki - 2

Nun scheint es vordergründig nicht so, als würde Sundara sich für ihren visuellen Auftritt schämen - sie hat schließlich die schönsten Kleider an, die sie besitzt. Auch ihre Füße scheinen ihr kein Grund zur Klage zu sein - bis eben Misaki ihr diese Sandalen hinstellt. Sie zögert, bevor ihre Zehen in dem Bast verschwinden, ja reibt sogar etwas verlegen ihre Zehen an ihren Waden. Dass dies jedoch nur eine äußerst marginal reinigende Wirkung hat, versteht sich von selbst. Dann folgt sie der älteren Dame durch dieses Haus mit äußerst merkwürdiger Einrichtung. Erstaunt sieht sich die junge Frau um, hat sie doch noch nie so etwas gesehen. Dafür fällt ihr sehr wohl die peinliche Sauberkeit in dem Haus auf. Verstohlen geht ihr Blick an ihr selbst nach unten und unvermittelt beginnt sie nachzudenken, wie lange es wohl her ist, dass sie einmal ausgiebig gebadet hat. Sie kann sich nicht erinnern. Schließlich kommen sie auf die Veranda mit den Sitzkissen. Sundara nickt Misaki zu. Kaum hat diese sich umgedreht, streicht sie sich mit der Hand über ihr Gesäß, prüft die Finger auf etwaige Ablagerungen. Das Ergebnis ist zwar negativ, trotzdem zieht Sundara es vor, sich neben das Kissen zu setzen, im Schneidersitz. Da kommt auch schon wieder Misaki mit dem Tee. Aufmerksam verfolgt Sundara die Zeremonie. Ernst verfolgt sie auch den Bericht der Frau - eigenartigerweise verzieht sich ihr Gesicht ausgerechnet als Misaki meint, die Heilung des Knies würde recht lange dauern, zum Ansatz eines Lächelns, um jedoch kurz danach wieder ernst zu werden.

„Natürlich warte ich,“ antwortet Sundara schließlich ohne irgendwie nachdenken zu müssen. „Aber.... Komplikationen... was könnte das denn sein? Dass sie etwa...“

Die Sorge in Sundaras Gesicht macht nun Angst Platz, und es ist wohl anzunehmen, dass das „etwa“ in ihren Gedanken wohl für die schlechtestmögliche der Konsequenzen stehen wird, die Konsequenz, die in der Röhre meist mit dem gefrorenen Wasser einer bestimmen Gottheit in Verbindung gebracht wird.

„Aber nein! Wo denkt ihr denn hin? Ira ist in bester körperlicher Verfassung und überdies an Härten gewöhnt. Es ist nur so, daß manchmal seelische und geistige Wunden übler sein können, als jede Physische. Ich weiß nicht ob es in Iras Fall so ist, die Zeit in der sie wach war, stand sie unter Einfluß von Arzneien. Aber es könnte gut sein, daß sie Zuspruch braucht, wenn sie aufwacht, den ich ihr nicht geben kann. Deshalb meine Bitte.“ Mit einer eleganten Bewegung streift ihren rechten Ärmel ein wenig zurück. Erst jetzt steigt Sundara der Hauch eines Duft in Nase, süß und nur durch sparsamste Anwendung des Parfums leicht und flüchtig. Ein Lächeln Misakis zeigt ihre völlig überraschender Weise vollständigen und makellosen Zähne. „Ich hoffe ihr nehmt mir meine Zudringlichkeit nicht übel.“

Sundaras Blick fällt zunächst auf die Tassen auf dem Tisch, mit der leicht güldenen Flüssigkeit darin, aus denen noch immer etwas Dampf aufsteigt. Schwer ist es zu sagen, was in ihr vorgeht, der Blick ist etwas verklärt, die leicht zusammengezogenen Augenbrauen, die oberen Schneidezähne, weiß und gerade, die auf ihrer Unterlippe herumkauen, zeugen jedoch davor, dass in der jungen, hübschen Frau wohl einige Anspannung herrschen wird. Schließlich kehrt der Blick wieder zu Misaki zurück, legt sich tief in Misakis Augen. Ein leichtes Zucken der Nasenflügel verrät, dass sie den Duft von Misakis Parfum wohl wahrnimmt, doch nur die Götter mögen wissen, ob sie ihn nun gut findet oder nicht. Es wäre ein Leichtes, aus Sundara eine nicht zu übersehende Schönheit zu machen, trotz ihrer geringen Körpergröße. Sie wirkt jedoch nicht so, als würde sie darauf großen Wert legen, ja mehr noch, es scheint als wäre sie sich dieser Möglichkeit gar nicht bewusst. Und so sind es halt besonders ihre Augen, die dem Betrachter in Erinnerung bleiben. Denn die Augen können zwar in ihrer Strahlkraft durch den Gebrauch farbiger Substanzen unterstützt werden - die Schönheit derselben ist jedoch weder zu verstecken noch bei dem Fehlen derselben vorzutäuschen. Ob Misaki, die anscheinend weit mehr Wert auf ein gepflegtes Äußeres legt, wohl solcherlei Gedanken kommen? Oder ist sie Ärztin genug, dass die leuchtenden Seelenspiegel ihr einzig Zeugschaft ablegen, dass das, was unter dem Verband unter dem zerrissenen Hemd liegt, wenigstens im Moment keinerlei Grund zur Besorgnis geben würde? Zeit für solche Gedanken hätte sie, denn Sundara schaut sie eine ganze Weile schweigend an, mit ihrem Blick, der es dem Gegenüber irgendwie erschwert, den eigenen abzuwenden.

„Ich bin nicht gekommen, um ihr einfach das Teil hier auf das Bett zu knallen und dann wieder zu gehen,“ sagt sie dann äußerlich ruhig, doch wirkt ihre Stimme fast noch heiserer wie zuvor, was diese Ruhe eindeutig als oberflächlich entlarvt. „Ich bleibe, so lange es nötig ist. Ich werde an Iras Bett wachen, bis sie mit mir Euer Haus wieder verlassen kann, wenn Ihr das als sinnvoll erachtet. Ich werde ihr nach all meinen Möglichkeiten helfen, und doch weiß ich nicht, ob sie diese Hilfe denn annehmen wird.“

Sie macht eine kurze Pause. Es fällt ihr ein, dass an diesem Ort anscheinend noch niemand etwas von Vorovis oder Elurien gehört hat.

„Dort, wo ich herkomme, gibt es zwei Völker, die sich dadurch unterscheiden, dass sie an verschiedene Götter glauben. Die meisten Angehörigen dieser Völker hassen sich bis aufs Blut. Naja, und Ira gehört wohl dazu. Nun ist es so, dass der, der ihr das angetan hat, ein Offizier ihres Volkes ist, und ich bin wohl Angehöriger des anderen. Ich hoffe also, dass sie mir überhaupt zuhört, oder ob es sie nur interessiert, dass sie mit einem Vorgesetzten ihres eigenen Volkes so eine ernsthafte Auseinandersetzung hatte. Ich habe mit Keresin kurz gesprochen, und er wirkte nicht so, als würde er ihr heute Abend verzeihen...“

Sie sieht Misaki nun wieder stumm an, wohl darauf hoffend, dass diese irgend etwas von ihrer Erklärung verstanden hätte.

Gelassen erwidert Misaki den Blick Sundaras und in ihren dunklen Augen spiegelt sich nur eine entspannte, ja durauchaus auch heitere Ruhe. Ihr Gesicht zeigt weder Abneigung noch besondere Sympathie nur diese entspannte, etwas distanzierte Gelassenheit. Misaki drängt nicht, noch zeigt sie irgendwelche Zeichen von Ungeduld, sie wartet. Mit einem Lächeln schüttelt sie dann leicht den Kopf. „Nun es wird nicht notwendig sein, daß ihr Tag und Nacht bei ihr wacht. Ihre Verletzungen sind weder lebensbedrohend noch schwer. Was allerdings die Annahme eurer Hilfe anbelangt, so wage ich keine Vorhersage. Im alleinige Anspruch auf Wahrheit steht der Alte Kult dem Neuen in nichts nach, auch nicht in der rabiaten Behandlung Andersgläubiger, das ist mir durchaus bewußt.“ Lächelnd greift Misaki nach der Teeschale und trinkt einen kleinen Schluck.
„Was die Auseinandersetzung mit dem Legaten betrifft, dazu will und kann ich nichts sagen. Wenn Ira es euch erzählen will, wird sie es tun. Wenn nicht…..“
Die Geste mit der Linken drückt wohl Bedauern aus. „Worauf ich hinaus will, sie kennt euch. Vielleicht wird ihr eure Anwesenheit helfen den Schock besser zu meistern, als die einer fremden, alten Frau. Noch etwas Tee?“

Sundara nimmt ihre Tasse und trinkt davon. Kurz schweifen ihre Gedanken ab, in eine längst vergangene Zeit. Wann hatte sie das letzte Mal Tee getrunken? Das muss in Estichà gewesen sein, noch vor dem Großen Krieg. Hätte damals sich jemand träumen lassen, was noch alles auf sie zugekommen wäre? Wohl kaum... Aber sie ist nicht hier, um ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Außerdem ist da nun ein anderer Gedanke, der sie geradezu gewalttätig aus ihrem alten reißt. Alter Kult? Neuer Kult? Weiß Misaki etwa... Und wenn sie weiß, dann muss es doch eine Verbindung zwischen diesem Ort und Elurien, Vorovis oder irgendeinem Reich geben, das auch den Eluriern bekannt sein müsste! Gott sei Dank! Sie würden wieder zurückkommen! Aber wie? Und so ist es ein ziemlich abrupter Themenwechsel, den Sundara nun vollzieht.

„Ehrenwerte Misaki,“ beginnt sie, leert dann die Tasse und stellt sie vorsichtig wieder auf den Tisch zurück, fast wie ein Kind, dem man einen wertvollen Gegenstand zur Beobachtung gegeben hat, und es für dieses Kind das Schlimmste auf der Welt wäre, diesen Gegenstand zu zerstören. „Ehrenwerte Misaki, sagt, wie kommt man von hier eigentlich wieder zurück nach Elurien, nach Vorovis oder in die Allianz?“

Fast hat es den Anschein als wollte die ältere Frau auf die letzte Frage Sundaras nicht antworten. Als sie es schließlich doch tut, zeigt sich Bedauern auf ihren Gesichtszügen. „Ich kann es euch nicht sagen. Nicht weil ich nicht möchte, ich weiß es nicht. Wir befindet uns auf einer Insel. Bis auf die kleinen vorgelagerten und unbewohnten Inseln ist nichts um uns herum als offener Metcha. Besser ihr richtet euch auf eine längeren Aufenthalt ein.“ Etwas Endgültiges schwingt in ihrer Stimme und obwohl sich außer dem milden Bedauern nichts auf ihrem Gesicht ablesen läßt, kann sich Sundara des Gefühles nicht erwehren, daß Misakis Worte nur ein Teil der Wahrheit sind. Misaki gießt sich den Tee in ihrer Schale noch einmal mit heißen Wasser voll und stellt die Schale zum Ziehen auf das kleine Tischchen. „Ich will nicht aufdringlich sein, werte Sundara, aber vielleicht wäre es besser für euch und die Anderen sich fürs Erste mit der Lage abzufinden und euch einen Platz zu suchen, an dem ihr leben könnt statt das Phantom Heimkehr zu jagen.“ In den dunklen Augen schimmert für einen Moment so etwas wie Mitleid.

Ira träumt. Sie schwankt hart am Vollrausch durch die engen Gassen im Hafenviertel. Ihre Kameraden hat sie verloren. Es dreht sich ihr der Magen um. An eine Hauswand gelehnt kotzt sie sich aus. Sie kann nicht einmal Fluchen so dreckig geht es ihr. Da hört sie Stimmen. Lallend ruft sie in die Dunkelheit: „He ihr Saufköpfe! Wo verdammt noch einmal treibt ihr euch herum?“ Schwankend hält sie sich an der Hausmauer fest. „Ist das die Votze?“: sagt eine Stimme. Eine Zweite antwortet: „Das ist sie.“ Etwas trifft Ira am Kopf. Sterne explodieren und dann ist sie weg. Erst das kalte Wasser bringt sie wieder zu sich. An ihren Beinen hängt etwas Schweres. Die Hände sind hinter dem Rücken zusammen gebunden. Lachen und eine Stimme: „Jetzt lernst du Xiths eisigen Schwanz kennen, dreckige…..“ Schnell versinkt sie. Sie reißt an den Fesseln und schreit und schreit bis die Luft zu Ende ist.
Iras Schrei hallt durchs ganze Haus. Sie reißt die Augen auf und setzt sich ruckartig auf. Schmerz explodiert in ihrer Seite. Verwirrt schaut sie sich um.

Wieder hört Sundara aufmerksam zu, saugt mit ihren Augen fast die Worte aus denen der Heilerin. Es braucht jedoch keine aussergewöhnliche Beobachtungsgabe, um festzustellen, dass ihr das Gehörte gar nicht gut gefällt. Als Misaki geendet hat, senkt sie den Blick, denkt nach. Instinktiv geht ihre Hand zu ihrem Rauchzeug, zuckt jedoch im letzten Moment zurück. Einen Moment lang kehren die Augen der hübschen Schwarzhaarigen zu denen Misakis zurück, dann nimmt sie die Tasse und nippt davon - wohl als Ersatz für die Zigarette.

„Wisst Ihr,“ beginnt sie dann ruhig, „es ist nämlich so...“

Weiter spricht Sundara nicht, denn in diesem Moment zerreißt ein Schrei die Ruhe in dem Haus. Erschrocken weiten sich ihre Augen. Sundara braucht nicht lange, um zu wissen, wer denn geschrien hat. Ebenso wenig lange braucht sie, um aus dem Schneidersitz in den Stand zu springen, drei schnelle Schritte in die Richtung des Schreis zu machen. Dann hält sie inne, dreht sich zu Misaki um, kommt zurück und setzt sich wieder hin. Sie sagt nichts, aber sie braucht nichts zu sagen, denn ihr Ausdruck spricht Bände - nämlich dass sie schnellstmöglich aus der Konversation entlassen werden möchte, um bei ihrer Freundin zu sein.

In einer einzigen fließenden Bewegung herhebt sich Misaki. Leise raschelt der Stoff ihres Obergewandes als sie einen Schritt auf Sundara zumacht. „Bitte setzt euch wieder. Ich werde nachsehen und euch rufen.“ Obwohl die ältere Frau sich ausgesuchter Höflichkeit befleißigt, kann kein Zweifel daran bestehen, daß sie Widerrede nicht dulden würde. Misaki schließt die Schiebetüre hinter sich und eilt in Iras Zimmer. Sie kauert sich neben die dünne Matratze, streicht Ira über die verschwitze Stirn und fühlt ihr mit der Anderen den Puls. „Du hast bloß schlecht geträumt, mein Kind, sei ganz ruhig. Deine Medizin bringt neben Heilung Schlaf und Träume. Es ist Besuch für dich da.“: sagt sie zu Ira die langsam wieder in die Realität von Misakis Haus zurückfindet. Sie schüttelt die Polster auf. „Leg dich zurück. Ich bin gleich wieder da.“ Sie lächelt Ira zu und verläßt das Zimmer. Die Türe läßt sie offen. Auf der Veranda wendet sie sich an Sundara. „Es ist alles in Ordnung, ein Albtraum, mehr nicht. Ich habe noch eine Bitte an euch. Wenn ihr Ira die Waffe gebt, dann verlangt etwas dafür. Eine Kleinigkeit, eine Münze, eine Locke, was auch immer. Wir glauben, daß eine Klinge wie diese seinem Besitzer ganz gehören muß, damit er an die Seele der Klinge rühren kann und eins mit ihr werden kann. Nur dann wird Ira diese Waffe völlig zu Diensten sein. Ich bitte euch tut mir diesen Gefallen. Jetzt kommt, ich bringe euch zu ihr.“ Misaki nimmt auf dem Weg noch einen bereitstehenden Krug mit kalten Tee für Ira mit. „Ich lasse euch jetzt alleine. Wenn ihr etwas braucht ruft mich bitte.“ Misaki lächelt Ira zu, dann verläßt sie das Zimmer und schließt die Schiebetüre hinter sich.

Sundara gehorcht. Misaki ist eine Heilerin, und Heiler sind gemeinhin im Stand weit über einer einfachen Soldatin - nun, eigentlich bis zum Schluss so was wie einer Hilfssoldatin - denn zu einer Beförderung ist es bis zum Ausbruch des Großen Krieges ja nie gekommen, und nachher hatten alle weit andere Sorgen, als sich um irgendwelche Krallen am Hemdsärmel zu kümmern. Aber im Endeffekt hat Sundaras Uniform schon lange das Zeitliche gesegnet - und wenigstens ihr Hemd ist dabei, es der Uniform gleich zu tun. Nun, da ein Ärmel fehlt, und der andere für die Stabilität der zerrissenen Stelle an der Schulter unumgänglich ist, würde jeder weitere Verlust an Stoff das Kleidungsstück ganz und gar unbrauchbar machen.

Sie sitzt nun also da, verbiegt sich aber, um vielleicht doch durch die offene Tür einen Blick auf Ira zu erhaschen. Aber da schließt Misaki auch schon dieselbe. Sie beginnt, nervös an ihren Fingernägeln zu kauen, und diese sind freilich mehr als dankbar, dass Misaki wenig später wieder in dem Raum erscheint. Wieder hört Sundara aufmerksam zu, den Blick wieder tief in dem der älteren Dame versenkt. Nun hat diese Angewohnheit allerdings den großen Nachteil, dass sie ihre Gefühle nur sehr schwer verbergen kann. Und so kann Misaki wohl größte Überraschung, ja einen gewissen Unglauben erkennen, als sie Sundara von den örtlichen Gebräuchen mit den Waffen erzählt. Es folgt jedoch keine Widerrede. Warum auch? Jedes Land hat seine eigenen Regeln, jedes Volk glaubt an etwas anderes. Und wer weiß, vielleicht begegnet Sundara ja auch noch einem Volk, dass daran glaubt, dass irgendein langhaariger Bärtiger, der mit zwölf anderen langhaarigen Bärtigen durch das Land zieht, mit zwei Fischen Tausende ernähren kann und Wasser in Wein verwandeln. Oder dass anstatt Yoroms Eisfelder zwölf heiße Jungfrauen auf jemanden warten, wenn man im Kampf gefallen ist. Wenn sich da nur nicht herausstellt, dass das am Ende die 12 langhaarigen Bärtigen sind...

Jedenfalls nickt Sundara brav, umschließt die Asnivala fester und geht auf die Tür zu. Sie kaut wieder auf ihrer Unterlippe. Man kann ihre Aufregung spüren. Wie wird Ira nun auf sie reagieren? Sundara atmet tief durch, und etwas zögernd tritt sie durch die Tür. Sie geht langsam, aber sie bleibt nicht stehen, auch nicht, als sie Ira grüßt.

„Sichàra, Ira,“ sagt sie ruhig, doch wieder ist ihre Stimme etwas heiserer als sonst. Ob dies Ira auffällt, weiß wohl nur Ira selbst. „Wie geht es dir? Ich habe dir etwas mitgebracht.“

Inzwischen ist sie bei der Matratze angekommen, geht vor Ira in die Hocke und hält ihr die Asnivala hin. Dabei schaut sie ihr in die Augen, nervös, etwas besorgt. Aber es ist ein warmer, ein freundlicher Blick. Ein Blick, der eher darauf schließen lassen würde, dass sie schon lange Freundinnen wären, und nicht dass noch vor vierundzwanzig Jhane die eine der anderen am liebsten eine Pfählung an den Hals gewünscht hätte. Und ist diese eine insbesondere wegen mangelnder Ausrüstung nicht auf die andere losgegangen, bringt ihr diese andere nun gerade dies.

Der Schrecken des Traumes steht Ira noch ins Gesicht geschrieben. Ihr Gesicht ist fast heil. Nur einn paar kleine Kratzer hat sie auf der Wange. Völlig überrascht schaut sie Sundara an. „Du? Wo kommst du denn her?“: sagt sie. Ihre Stimme ist kratzig. Misaki hat sie zugedeckt, aber ihr Fuß schaut unter der Decke heraus. Ihr Knie ist von einer weißen seltsamen Maße umgeben. „Ganz gut. Ich bin am Leben.“: antwortet sie. Das ist keiner ihrer Späße. Sie meint es ernst. Als Sundara sagt, daß sie ihr was mitgebracht hat, schaut sie Sundara an. Ziemlich verwirrt ist ihr Blick. „Du hast MIR was mitgebracht? Wieso?“ Als Sundara ihr die Ansnivala hinhält macht Ira ein sagenhaft dummes Gesicht. Aber ihre Augen beginnen zu strahlen als sie die Waffe anschaut. „Darf ich?“: haucht sie und streckt ihre Hand danach aus. Sie nimmt die Asnivala. Ein bißchen ungeschicht. Der Verband um die Rippen behindert sie. Dann greift sie auch mit der zweiten Hand danach. Mit einem kleinen Ruck zieht sie die Klinge nicht mehr ein Dutzend Clat aus der Scheide. Ihre Augen werden groß. Ungläubiges Staunen, dann lächelt sie verzückt wie ein Kind das einen Regenbogen sieht. Sie dreht die Waffe leicht. Völlig gefangen von der Schönheit der Klinge. Für eine ganze Weile vergißt sie ihr Krankenzimmer. Doch dann drückt sie die Klinge zurück in die Scheide. Sie hält die Waffe wieder Sundara hin. „Ich dank dir, aber das kann ich nicht annehmen. So eine Klinge kostet ein Vermögen. Das ist eine Waffe für einen Prokurator.“ In ihren dunklen Augen glitzern Tränen.

Die Erleichterung, dass Ira Sundara nicht sofort wegschickt, ist letzterer ins Gesicht geschrieben. Dies manifestiert sich recht deutlich - wieder einmal - an ihren Augen, die einen frohen Glanz annehmen, eben dieses Strahlen, das Sundara fast einzigartig macht. Sie sagt zunächst jedoch nichts, stumm gibt sie ihr die Waffe. Während Ira die Asnivala begutachtet, setzt sich Sundara auf ihre Fersen, und je weiter Ira spricht, desto mehr formt sich in ihrem Gesicht ein belustigtes Grinsen - nicht böswillig, auch nicht spöttisch, eher ist ein ein Grinsen, das auch als Vorbote zu einem jener ansteckenden Lachen gewertet werden kann, gegen die im Endeffekt niemand richtig gefeit ist.

"Das sind ja ganz schön viele Fragen," sagt sie schließlich. Ihre Stimme ist immer noch heiser, aber ist sie nun auf die natürliche Grundheiserkeit zurückgefallen. "Also, zunächst einmal, ich komme gerade von der Waffenschmiedin. Ich bin einfach der Vermutung nachgegangen, dass eine Waffenschmiedin zur Erlangung einer Waffe vielleicht gar nicht so eine schlechte Person sein könnte. Und dann hat mich ein halbnackter, kahlköpfiger Mann namens Vierundzwanzig hier her gebracht. Hier habe ich nun mit Misaki Tee getrunken und darauf gewartet, dass du aufwachst. Und ich habe dir etwas mitgebracht, weil ich glaube, dass ich dich mag. Und da wir heute ja soundso eine Asnivala für dich besorgen wollten, und Pfeilspitzen für mich, und du ja aus naheliegenden Gründen das gerade nicht tun kannst, habe ich mir gedacht, ich übernehme das für dich. Und da ich mich bei Asnivale nicht so gut auskenne, habe ich ihr halt Chelias Waffe gegeben, so ungefähr als Richtung, wo es hingehen soll. Ich will dir ja nicht irgendeinen Metallschrott bringen. Und ja, ich glaube, das ist eine Waffe für eine Ira Verra. Ich bin mir ziemlich sicher, du kannst damit umgehen. Und eine gute Waffe sollte in den Händen derer liegen, die sie auch benutzen können, nicht denen gehören, die irgendeinen besonderen Titel tragen. Und im Zweifelsfall nennst du dich jetzt einfach Prokurator der Armee von Kaffistan."

Sie macht nun eine Pause, drückt die Asnivala ziemlich entschieden wieder zu Ira hin, und diese kann keinen Zweifel hegen, dass Sundara die Waffe auf gar keinen Fall wieder zurücknehmen wird.

"Sie hat kein Vermögen gekostet," fährt sie dann fort. "Ich werde halt in der nächsten Zeit die verschiedenen Keller und unterirdischen Gänge auf Metallschrott durchforsten müssen. Keine große Sache, wenn auch die Schmiedin natürlich auch aus dieser Sache etwas überaus Gefährliches macht." Sie fällt nun in einen rezitativen Tonfall, als würde sie ein auswendig gelerntes Gedicht aufsagen: "Du darst nicht in der Nacht suchen. Du darfst nicht in der großen Ruine suchen. Du darfst nicht alleine suchen."

Kurz schaut sie Ira mit einem ironischen Grinsen an, dann fährt sie wieder in normaler Betonung fort: "Jedenfalls hat mir Bokh, der komische blonde Elurier, versprochen, er begleitet mich, und wenn du willst, kannst du das dann ja machen, wenn du wieder auf den Beinen bist. Wenn ich halt bis dahin nicht genügend Schrott gefunden habe. Keine Ahnung, sie hat mir nicht gesagt, wie viel ich ihr bringen soll. Sie macht aber nicht den Eindruck, als würde sie jemanden ausnützen wollen. Übrigens hat sie ziemlich darauf gedrängt, dass ich mit DIR die Keller absuche. Sie traut dem Elurier wohl nicht zu, mich vor ein paar bösen Zwyseln zu beschützen. Keine Ahnung, aber es klang schon so, als würde sie es ernst meinen."

Abwechselnd starrt Ira die Asnivala und Sundara an. Tränen füllen ihre Augen. Sie will nicht weinen. Nicht vor der Ketzerin, vor gar niemand. Doch etwas in ihr gibt nach. Es ist als ob ein Damm bricht. Die vergeudeten Jahre, die Erniedrigungen, der ganze Schmerz, sie lassen sich nicht mehr zurück drängen. Tränen laufen ihr über die Wangen. Tropfen auf die Decke. Hinterlassen ihre Spuren. Schluchzend versucht sie zu reden. „Ich bin nichts mehr, gar nichts mehr. Ausgestoßen und vogelfrei. Jetzt hab ich wirklich nichts mehr und…..ich hab so eine Waffe nicht verdient...“ Es dauert ein bißchen bis sie wieder reden kann. „Ich kann sie nicht annehmen...ich wollt dich umbringen...an dem Tag...am ersten Tag. ..und ich wollt dir deine Asnivala abnehmen….wegen dem Stein. Bitte..beschäm mich nicht so..“ Dann kann sie nicht mehr weiter reden. Sie läßt die Waffe aus, dreht sich zur Seite soweit es geht. Sie legt ihren Unterarm über die Augen. Ihr ganze Körper bebt vom Schluchzen.

Sundara legt die Asnivala neben Ira auf das Bett. Sie schweigt. Ihr Blick liegt zwar auf Ira, doch scheint es nicht so, als würde sie sie richtig ansehen. Ihre Schneidezähne bearbeiten wieder ihre Unterlippe. Es gibt Momente, da ist Schweigen Gold. Und es gibt Momente, da kann man nichts sagen, weil man nichts zu sagen weiß. Und es gibt Momente, da kommen diese beiden Gegebenheiten zusammen. Dieser Moment ist so ein Moment. Sundara sitzt da und versucht, die Bausteine, die ihr Ira weinend entgegengeworfen hat, zusammenzusetzen. "Ausgestoßen und vogelfrei". Das hat Ira gesagt. Es ist nicht schwer zu erraten, dass ihr Keresin so etwas an den Kopf geworfen hat. Und Ira, die das ganze Gehabe um die vorovisische Armee wie einen Schutzwall um sich aufgebaut hat, muss so etwas freilich arg treffen. Wieder so eine Ähnlichkeit zwischen der blonden Vorovisin und ihrer Freundin Chelia... dieses selbstbewusste Getue, um die Leute glauben zu lassen, jemand zu sein, der man nicht ist. Und recht extreme Reaktionen, wenn an diesem Schutzwall gekratzt wird, oder, wie in diesem Fall, er gar zum Einsturz gebracht wird. Sundara kennt diese Situationen - nicht nur einmal hat sie Chelia aus der Gosse heraus wieder aufgebaut. Es braucht manchmal lange. Aber es gelingt. Und sie will auch Ira wieder aufbauen, egal, wie lange es dauert. Da ist sie sich sicher.

"Ich wollt dich umbringen". Das hat Ira auch gesagt. Nicht, dass Sundara diese Worte ganz kalt lassen. Wer lässt sich auch schon gerne umbringen? Aber wer würde, wenn er denn den Plan immer noch hegen würde, diesen einfach so offenbaren? Ist nicht gerade dieses Geständnis Zeuge davon, dass Ira doch ihre Ansichten bezüglich der "Ketzerin" insofern abgeändert hat, ihr nicht mehr nach dem Leben zu trachten? Und, wenn sich Sundara ganz ehrlich ist, ändert dies eh nichts an der Situation an sich. Eine bestehende Bedrohung wird nicht größer, wenn man sich mit der Quelle derselben auseinandersetzt. Auf der anderen Seite hat Sundara halt auch nicht ewig viele Optionen. Sie braucht Verbündete, wenn sie von hier weg und zurück in den Kampf will. Lenari scheidet aus. Sie ist keine Kämpferin, und es würde viele Stürme brauchen, um aus ihr eine zu machen. Und da Sundara selbst ja Bogenschützin ist, braucht sie ja jemanden, der im Nahkampf gut ist. Lenari schaut nicht danach aus, als ob sie das je werden würde. Keresin wäre sicher ein guter Nahkämpfer. Aber gerade diese Situation, die Ira zu der Heilerin gebracht hat, hat in Sundara jegliche Lust vertrieben, in nächster Zukunft weiter mit ihm zusammenzuarbeiten. Auch das Gespräch mit ihm... als würde man auf einen toten Roputan einschlagen, um ihn zum Gehen zu bewegen. Dann wären da der Alte und der Hüne - dermaßen auf sich bezogen, dass Sundara - unwissend über ihre wahren Verhältnisse - annehmen muss, dass sie ein Liebespärchen wären. Es macht nicht den Eindruck, als wären sie an einem Bündnis mit Außenstehenden irgendwie interessiert. Die Weißhaarige aus dem Silberkrug? Nein. Sundara kann sich nicht erklären wieso, aber dies erscheint ihr komplett abwegig. Bleibt noch der blonde Elurier. Der ist natürlich die große Unbekannte. Aber im Falle des Falles ist ein Trio eh stärker als ein Duo. Und so ist es eben nicht nur das Bauchgefühl, das Sundara sagt, dass Ira genau die Richtige wäre.

Es dauert freilich eine ganze Weile, bis Sundara all diese Gedanken in ihrem Kopf geordnet hat. Es ist eine Weile der Ruhe, durchbrochen nur durch das Schluchzen der blonden Vorovisin. Ob sich diese beruhigt oder nicht, irgendwann klart Sundaras Blick wieder auf, ohne seine Richtung zu wechseln. Und dann beginnt sie auch zu sprechen. Ruhig, langsam, bedacht. Aber auch ziemlich bestimmt - es hat überhaupt nicht den Eindruck, als wären es Floskeln, die sie von sich gibt.

"Du bist du," sagt sie. "Das kann dir niemand nehmen. Du bist viel mehr als das, was dir andere eingetrichtert haben, das du zu glauben hast. Und wenn... das alles, was hier passiert ist, und auch noch passiert, da drüben wissen die gar nichts davon. Wenn du da drüben aufschlägst, bist du Ira Verra, Rottenführer des Blauen Banners. Alles andere wissen die nicht, solange es ihnen niemand sagt. Ich werde mich hüten, ein Wort darüber zu verlieren - und wenn würde mein Wort wohl sehr wenig zählen. Dann müssen wir nur mehr schauen, dass auch sonst niemand etwas darüber sagt. Im Endeffekt haben wir zwei Möglichkeiten: wir kehren zurück, und uns gelingt da ein Husarenstück, das uns da so großes Ansehen bringt, dass die Worte Keresins nichts mehr zählen. Dazu müssten wir halt vor Keresin zurück. Oder aber wir kehren zurück, und Keresin halt nicht. Auch das ist zu bewerkstelligen. Wir sind zu zweit, wenn du willst."

Dann schweigt sie wieder. Sie geht nicht weg. Sie berührt Ira nicht. Die Asnivala liegt auf dem Bett.

Es dauert lang bis Ira zu schluchzen aufhört. Noch länger bis sie den Arm von ihren Augen nimmt. Ihre Augen sind rot geweint und geschwollen. Sie schaut Sundara nicht an. „Es gibt nicht einmal mehr die Garnison.“; sagt sie. Dann dreht sie sich zu Sundara. Aber sie schaut ihr nicht in die Augen. „Ich habs verschissen, ich bin schuld. Genauso wie damals in der Armee. Auch wenn ich Keresin das Licht ausblase, es ändert sich nichts dran. Ich bin das Problem! Ich hab es einfach nicht drauf. Alles was ich angreif verwandelt sich in Scheiße! Ich bin wirkliche eine Schande für die Uniform. Jetzt hab ichs verstanden.“ Ira dreht sich wieder weg. Ihre Stimme klingt als wär sie weit weg. „Ich dank dir. Ich dank dir wirklich. Aber jetzt laß mich bitte allein. Mir bleibt nur der Weg der Ehre. Ich will mich darauf vorbereiten, damit ich das nicht auch noch verscheiße.“ Ira schließt die Augen.