Forum Übersicht - Die Straßen der Stadt » Im Dämmerlicht

--> Früher Vormittag

Der Mann vor ihr wird weder langsamer noch dreht er sich um. „Gleich, gleich.“: stößt er beim laufen hervor. Viel kann Sundara nicht erkennen, aber die Wände des Ganges sehen nicht so aus als wären sie verputztes Mauerwerk. Nach vielleicht 100 Vat wird Yresen langsamer, aber der Lauf durch die Dunkelheit ist noch nicht zu Ende. Der Gang vor ihnen ist eingestürzt und Yresen läßt wieder seine Lampe aufleuchten, als er sich durch ein Loch im Mauerwerk zwängt, aber keinen Moment länger als Sundara braucht um durch die recht enge Öffnung zu kommen. Dann geht es kreuz und quer weiter durch Keller und finstere Kammern bis sich vor ihnen ein Lichtschein abzeichnet. Durch einen weiteren Durchschlupf und eüber einen Schutthaufen gelangen sie in ein teilweise eingestürztes Gewölbe, das nur durch einen Lichtstrahl beleuchtet wird, der durch ein Loch in der Decke fällt. Jetzt erst hält ihr seltsamer Führer schweratemend an. „Das Gewölbe ist stabil, hier unten ist es sicher.“: sagt Yresen, der sich auf einen Brocken Mauerwerk fallen läßt, der ihm als Sitzt dient. Sundara kann im schwachen Schein des einfallenden Tageslichtes ein schattenhaftes Durcheinander aus Gerümpel, Gegenständen der Zweck sie nicht einmal erraten kann und teilweise stark beschädigten Kunstwerken erkennen. Yresen wischt sich den Schweiß von der Stirne und deutet einladende auf einen anderen Brocken Mauerwerks, den er wohl zu genau diesem Zweck hier plaziert haben wußte. Seine abgehärmtes Gesicht wendet sich Sundara zu und seine wasserblauen Augen glänzen selbst bei dieser Beleuchtung. „Von mir sagen sie, ich bin verrückt. Und ihr, ihr prügelt euch herum, dort wo sie alles sehen können, ja alles, auch bei Tag. Wer ist da der Verrückte?“ Er schüttelt den Kopf. Erstaunlicher Weise atmet er wieder normal, er muß wohl das Laufen gewöhnt sein. „Nein, ich weiß nicht wie sie es machen. Aber ich weiß sie können es und ich weiß sie tun es. Sie können nicht überall hinsehen, oh nein. Aber dort auf dem Platz sehen sie.“ Er schüttelt den Kopf. „Du warst im Haus einer Angma. Hast du immer noch nicht genug? Warum lenkst du die Aufmerksamkeit der Yurei auf dich? Willst du das sie euch holen?“ Er schaut Sundara eindringlich an. „Die Eisenhallen sind kein Platz für Menschen, glaub mir. Yresen weiß es! Yresen war dort!“

Sundara hastet hinter dem geheimnisvollen Mann kreuz und quer durch die Unterwelt der eigenartigen Stadt. Natürlich hat sie irgendwann die Orientierung verloren - wie sollte man denn auch in dem verwinkelten Halbdunkel, und bei dem Tempo, das der blasse Hagere vorlegt, auch den Überblick behalten? Schließlich kommen sie an ihr Ziel. Die Frage, die sich nun einem Betrachter stellen würde, als die beiden sich nacheinander durch den engen Spalt zwängen, wird sich bald schon nicht mehr darum drehen, ob Sundara etwa schneller als Yresen sein könnte, sondern vielmehr darum, um wie viel sie langsamer ist. Drei Waffen im Waffengürtel, dazu einen Bogenköcher mit dazugehörigen Bogen am Rücken zu tragen hilft keineswegs, wenn man sich einmal recht schmal machen will. Und so bleibt der erste Versuch auch prompt an den kantigen Steinen hängen. Erst als Sundara sich kurzerhand den Bogen samt Köcher vom Rücken zieht und in die eine Hand, den Waffengurt samt der beiden Asnivale in die andere Hand nimmt scheint es besser zu gehen. Und so ist sie so auch recht behände im dem Gewölbe angekommen - das Geräusch zerreißenden Stoffes zeugt jedoch davon, dass es noch immer nicht ganz ohne Verluste vonstatten geht. Zu abgenutzt, zu zerrissen ist das Hemd am Rücken, als dass es der rauhen Oberfläche der groben Steine Widerstand leisten könnte. Und so liegt Sundaras Rücken fast vollständig bar, als sie bei Yresen ankommt, wobei er freilich alsbald zum Teil wieder durch den Bogenköcher verdeckt wird. Sie setzt sich nun Yresen gegenüber auf einen Felsbrocken, leicht breitbeinig, die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt, die Finger locker verschränkt. Die beiden sperrigen Fechtwaffen hat sie dabei einfach neben sich auf die Erde gelegt. Nun schaut sie Yurei an, aus ihren wunderbaren blau-grünen Augen, sie schaut ihn intensiv an, so wie sie es immer tut, legt ihren Blick tief in den seinigen, und wieder einmal ist es ein warmer, offenherziger, ehrlicher Blick. Man bekommt sofort den Eindruck, dass die kleine, hübsche Frau gar nicht unglücklich ist, jetzt hier zu sein, dass sie vor Yresen wohl Respekt hat und dass sie überaus interessiert daran ist, was er denn zu sagen hat.

„Ich will ehrlich sein,“ beginnt sie dann, als Yresen mit seinen Anschuldigungen zu Ende gekommen ist. „Was Misaki angeht und ihr Haus, ich wurde von ihr selbst in ihr Haus eingeladen, ich war zu Beginn jeden Tag da, solange sie Ira gepflegt hat. Und es war mir einfach recht verdächtig, dass plötzlich die Hütertante da auftaucht und nicht Misaki selbst, denn so habe ich die Heilerin nicht kennengelernt. Und da war ich nachschauen, ob nicht etwa etwas passiert sein könnte. Den Rest weißt du ja. Was ich hingegen immer noch nicht weiß, ist was denn nun mit Misaki, der Angma, passiert ist, wo die hinverschwunden ist.“

Sie sieht in kurz an, fragend, kramt dabei eine Zigarette hervor. Sie steckt sie nicht an, lässt im Endeffekt Yresen auch gar nicht zu Wort kommen, sondern fährt gleich fort.

„Was schließlich die Auseinandersetzung zwischen Ira und mir angeht, so ist es einfach so, dass wir aus zwei unterschiedlichen Reichen kommen, und damit nicht genug, aus zwei unterschiedlichen Reichen zu unterschiedlicher Zeit. Frag mich nicht, wie und warum, ich weiß es selbst nicht, und ich bin mir sicher, du wirst das mindestens ebensogut verstehen wie wir. Nur, wir wollen eigentlich gar nicht da sein. Wir wollen wieder zurück. Irgendwie. Aber dazu müssen wir verstehen, wie diese Insel tickt. Es ist einfach alles so eigenartig, so geheimnisvoll, irgendwie ruhig und doch reden alle von Bedrohung. Und ja, wenn es hilft, wieder zurückzukommen, dann will ich in diese ominösen Eisenhallen, da bin ich auch ganz ehrlich. Aber ich habe mit diesen Angma, Yurei und wie sie alle heißen echt nichts am Hut, das musst du mir einfach glauben.“

Nun erst steckt sie sich ihre Zigarette an, ohne ihren fragenden, etwas drängenden, jedoch überaus freundlichen Blick von Yurei zu wenden.

Unverwandt blickt Yresen seine Gesprächspartnerin durch den Rauch ihrer Zigarette an. Es dauert eine kleine Weile bevor er ihr antwortet. „Ich verstehe dich schon, Yresen will auch zurück.“ Wieder ruht sein Blick lange Augenblicke auf Sundara. Als er wieder spricht klingt seine Stimme weicher. „Seit dem du mir geholfen hast, mich an den Angma Namen Misakis zu erinnern, ist vieles Anders. Ich habe mich errinnert!“ Seine Stimme zittert vor Bewegung. „Ich weiß wieder wo ich gelebt habe.“ Ergriffen schweigt er für einen Moment. „Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob du eine von denen bist. Aber du hast mir eine Erinnerung geschenkt. Dafür bin ich dir von ganzem Herzen dankbar.“ Mit einem Achselzucken spricht er weiter. „Wo soll sie schon hin sein? Sie wird zurückgekeht sein, in ihr Reich, dort wo sie hin gehört. Sie lebt noch nicht lange in dem Haus. Weißt du, es ist schwierig für mich. Irgendwie habe ich mit den Erinnerungen den Sinn für die Zeit verloren. Waren es Monate waren es Jahre? Ich weiß es nicht. Aber es war nicht lange, das weiß ich.“ Für einen Augenblick denkt er nach. „Kommst du wie die kleine Blume aus der Allianz?“: erkundigt er sich und hebt gleichzeitig abwehrend die Hände. „Sie hat es mir erzählt, aber ich weiß nicht wo das ist. Ich habe es mir nur so zusammengereimt. Ihr seid ja alle erst kurz hier. Aber vielleicht kannst du mir noch einmal helfen?“ Er läßt seine Hände wieder sinken und sieht Sundara fragend an. „Weißt du ich erinnere mich an die Stadt in der ich gelebt habe, aber nicht daran wo sie ist. Hast du von Belaith der Stadt unter dem Kebeth gehört?“ Hoffnungsvoll hängt sein Blick an Sundara.

Aufmerksam hört Sundara zu, ihren Blick tief in den des seltsamen Mannes gelegt. Es versteht sich, dass sie überaus empathisch reagiert. So lächelt sie zunächst verlegen, wird gar etwas rot im Gesicht, als er sich bei ihr bedankt. Schließlich ist sie sich ja nicht bewusst, sich irgendwie besonders für seine Erinnerung eingesetzt zu haben. Sie wird dann wieder ernst, als er von Misaki spricht. Und es ist nicht schwer zu bemerken, dass sie wohl nur die Hälfte von dem richtig versteht, was Yresen sagt. Leicht ziehen sich ihre Augenbrauen zusammen, sie kaut leise auf ihrer Unterlippe, während die Zigarette unbeachtet zwischen ihren Fingern hängt. Dann, ein belustigtes Lächeln, als er von der „Blume aus der Allianz“ spricht. Sie versteht wohl, wer darunter gemeint ist. Und der intensive Blick wird noch etwas intensiver, als wollte sie irgendwelche besonderen Gefühlsregungen bei Yresen bemerken, als er von besagter Allianzlerin spricht. Dann, als er von seiner Stadt spricht, verschwindet das Lächeln und macht einem Ausdruck tiefer Traurigkeit Platz, und nun nimmt sie ihren Blick zum ersten Mal in der doch langen Rede aus dem seinigen und wendet ihn auf den Boden vor sich. Nachdenklich geht die Zigarette zu ihren Lippen, sie zieht daran, dann schaut sie ihn wieder an. Traurig, unsicher, sichtlich besorgt, ihn zu enttäuschen.

„Weißt du,“ beginnt sie dann zögerlich, „ich bin nicht sonderlich klug. Ich habe nie Lesen und Schreiben gelernt. Ich habe nie richtig gelernt, wo die ganzen Länder liegen, wie die ganzen Städte heißen. So manches habe ich schon mitgekriegt, irgendwie, irgendwann. Aber Belaith unter dem Kebeth - so hieß es doch? - nein, diese Stadt ist mir unbekannt. Tut mir leid, ich wollte, ich könnte dir mehr dazu sagen, aber ich kann es nicht. Vielleicht solltest du Keresin fragen, das ist ein kluger Mann, der könnte es wissen.“

Wieder geht ihr Blick zu Boden, wieder zieht sie gedankenverloren an ihrer Zigarette, dann schaut sie Yresen wieder an.

„Jedenfalls komme ich nicht aus der Allianz,“ sagt sie dann. „Um genau zu sein, ich weiß gar nicht einmal, woher genau ich komme. So lange ich mich erinnern kann, bin ich von einem Ort zum anderen gezogen, immer auf der Suche nach etwas zu Essen und etwas Glück, eben das Glück, das sich eigentlich jeder Röhrenbewohner verdient. Ich habe es nur nie gefunden, bis ich dann nach Estichà gekommen bin. Estichà, das ist eine Stadt am Metchà, und ist die Hauptstadt eines Reiches, das Elurya heißt. Und da war ich dann in der Armee, wurde zur Bogenschützin ausgebildet, und da habe ich dann mein Glück gefunden. Die Allianz ist ein riesiges Reich mit einer riesigen Hauptstadt, da leben mehr Leute als in ganz Elurien, viel mehr, tausende von Tausenden. Da kommt Lenari her. Und die Allianz, das hat mir Chelia einmal auf einer Karte gezeigt, die liegt im... im...“

Sie unterbricht sich kurz, murmelt ein halblautes „Nie ohne Seife waschen“ und malt mit ihrem Zeigefinger vier imaginäre Punkte in die Luft.

„Also, die liegt im Osten. Also, ziemlich ganz im Osten, noch weiter rechts war von der Karte nicht mehr viel übrig. Und Ira und Keresin, die kommen aus einem Reich, das heißt Vorovis, und das liegt im Süden von Elurien. Und eigentlich sind Elurien und Vorovis seit ganz ganz langer Zeit verfeindet. Aber seit Krieg gegen die Sragon herrscht, sollten sie eigentlich verbündet sein. Aber as ist eine andere Geschichte. Dann ist da noch das Reich Yedea mit der Hauptstadt Gilgat, das zwischen Elurien und Vorovis liegt. Ich weiß nicht, ob dir irgendeiner dieser Namen etwas sagt. Oder ob es dir hilft, wenn ich dir mehr davon erzähle...“

Wieder geht ihr Blick zu Boden, wieder zieht sie an ihrer Zigarette. Es scheint sie ziemlich zu beschäftigen, ihm nicht mehr sagen zu können. Dann schaut sie ihn wieder an.

„Das Reich, wo Misaki hingehört, ist das die Eisenhallen?“ fragt sie dann ziemlich unvermittelt.

Nur wache Aufmerksamkeit und unübersehbar ein Ausdruck von Dringlichkeit zeigt sich auf dem abgehärmten Gesicht, als Yresen Lenari erwähnt und dann die Frage stellt, die ihm auf der Zunge zu brennen scheint. Etliche Herzschläge lang schweigt er , bevor er resignierend nickt, als Sundara ihm erklärt, daß sie noch nie von Belaith unter dem Kebeth gehört hat. Sein Blick ist auf einen Punkt irgendwo hinter Sundara gerichtet, als er leise sagt: „Ich weiß nicht was schlimmer ist, sich gar nicht erinnern zu können oder nur Bruchstücke im Kopf haben.“ Trotzdem hört er Sundara weiter zu und langsam verdichtet sich der Eindruck, daß sein Benehmen diesemal weniger erratisch ist, als bei ihrer ersten Begegnung.

„Elurya, Vorovis, Mir geht es wie dir. Ich kann mit all diesen Namen nichts anfangen. Nichts, gar nichts. Sie bringen auch da nichts zum Klingen, nicht einen Hauch.“ Er tippt sich auf die Stirn und sieht Sundara wieder direkt an. „Wenn die Stadt aus der die kleine Blume kommt so groß ist wie du sagst, dann muß sie doch bekannt sein!“ Diesmal ist es ihm noch deutlicher anzusehen, er scheint keine romantischen Gefühle mit der Metapher für Lenaris Namen zu verbinden. „Nichts paßt zusammen.“: setzt er leise hinzu. Auf Sundaras Frage nach Misaki nickt er: „Wohin sonst? Dort gehört sie hin, dort...“ Plötzlich reißt Yresen die Augen weit auf, Staunen und kindliche Bewegtheit zeigen sich auf seinem Gesicht. Fast sieht es so aus, als wäre der helle Moment vorbei und er wieder in seinen alten Geisteszustand verfallen. Doch dann sagt er mit Bestimmtheit. „Sie war jünger. Sie war viel jünger, ich erinnere mich jetzt ganz genau. Ja, ich erinnere mich! Ishikawa Erji, die erste Dienerin ihre Herrin, war viel jünger dort unten in den Eisenhallen! Ich habe es dir schon gesagt, ich bin mir nicht sicher ob sie Monate, Wochen oder ein paar Jahre hier oben lebt , aber sie ist noch nicht lange genug in ihrem Haus, damit ein halbes Menschenleben vergeht. Jetzt weiß ich es wieder!“ Seine wasserhellen Augen leuchten.

Nun, auch Sundara wirkt bei diesem zweiten Treffen ziemlich verändert im Vergleich zu ersterem. Wobei dies freilich durch das fehlende Messer an ihrer Kehle auch ziemlich erklärlich zu sein scheint. Und doch ist da mehr. Je länger Yresen mit ihr redet, desto intensiver ihr Blick, desto wärmer, desto zutraulicher. Das Misstrauen, das freilich beim ersten Treffen allgegenwärtig war, ist nun weg und hat ehrlichem Mitleid Platz gemacht. Und besonders jetzt scheint Yresen wieder etwas zu machen mit der kleinen Bogenschützin. Freilich sieht sie ihm geradewegs in die Augen, wenn er spricht, dringt in seine Pupillen ein als wolle sie sich in sein Innerstes legen. Doch kaum schließen sich seine Lippen, geht ihr Blick vor ihm zu Boden, nachdenklich. Ihre Zähne zermartern ihre Lippen, die nur dann eine Pause kriegen, wenn sie gerade an ihrer Zigarette zieht. Und erst bei seinem letzten Ausbruch blitzt es plötzlich in ihren Augen auf, nicht irgendwie aggressiv, nein, am ehesten könnte man das Funkeln als erfreut bezeichnen. Sie nickt nun, nach ihrem überaus ruhigem Gehabe von vorhin, auffallend energisch.

„Das glaube ich gern,“ sagt sie. „Ich meine, schau dir Ira an. Ihre letzte Erinnerung ist an ein Vorovis, in dem die Fünf regieren. Diese Fünf, naja, ich habe von denen noch nie gehört, das ist nun schon gar einige Stürme her. So, eben, und nun schau dir Ira an. Das ist gar nicht möglich, im Endeffekt, die müsste doch älter sein. Das ist mir nur gar nicht aufgefallen, bisher, darauf hast du mich erst jetzt gebracht. Jedenfalls, wenn die es schaffen, Ira jünger zu machen, dann werden die es auch schaffen, Misaki oder Ishiwaka Erji oder wie du sie nennen willst älter zu machen, oder?“

Dann geht ihr Blick wieder für eine Weile zu Boden. Man merkt, dass sie nicht ausgeredet hat, dass sie sich nur mühsam die Worte zurecht legen will. Dann sieht sie schließlich Yresen wieder an. Das Energische ist nun wieder vergangen, ja, etwas Unsicheres, Nervöses ist nun in ihrem Blick.

„Weißt du,“ sagt sie dann, „ich bin nicht klug, aber ich glaube, wenn du ein Medaillon suchst, und du weißt nicht mehr wie es ausgesehen hat, dann hast du so gut wie keine Chance. Wenn du nun allerdings ein kleines Stück dieses Medaillons in deinen Händen hältst, dann wird es leichter, den Rest zu finden. Du weißt dann, was passen kann und was nicht. Du weißt dann, ob es deine Erinnerung sein kann, oder nur etwas, das dir jemand einreden will. Deshalb bin ich mir ganz sicher, es ist besser Bruchstücke im Kopf zu haben, als sich gar nicht zu erinnern. Nur, naja, diese Bruchstücke werden dich halt jeden Tag daran erinnern, dass sie nicht vollständig sind, dass dass du weiter suchen musst.“

Noch einige Augenblicke bleibt ihr Blick in dem seinigen, dann geht er nervös zu Boden, blitzt nur mehr einige Male zurück zu Yresen, wohl um seine Reaktion zu sehen.

Als Sundara von Ira und ihrem Alter spricht wirkt Yresen zunehmend verwirrter. Der Ausdruck wird dadurch das er den Kopf leicht auf die linke Seite neigt noch verstärkt. Eine ganze Weile schaut er Sundara so an auch als sie ihren Blick senkt, wendet er seine Augen nicht ab. Er scheint ihre weiteren Worte gar nicht aufzunehmen. Er sieht Sundara nur aus seinen wasserhellen Augen an. Aber als er zu sprechen beginnt wird Sundara schell klar, daß der verwirrte Eindruck getäuscht hat.

“Ich weiß nicht ob ich dich ganz richtig verstanden habe. Willst du mir sagen daß deine Freundin sich nicht an die letzten Jahre erinnert ungefähr so wie ich?“ Eindringlich schaut er die Bogenschützin an und wirkt jetzt keinsfalls mehr verwirrt. „Oder willst du mir sagen, daß sie schon vor langer Zeit hier her gebracht wurde?“ Aber es zeigen sich in seiner Mine erste Anzeichen von Unruhe. „Weißt du, ich bin schon einige Zeit hier, aber ich habe deine Freundin kein einziges Mal gesehen bevor du und die Anderen hergekommen seid. Nein, ganz sicher nicht! An sie würde mich erinnern.“ Für den Augenblick in dem er über Ira spricht klingt Yresen so als hätte ihn die Vorovisianerin ziemlich beeindruckt. „Also glaube ich nicht daß sie schon lange da ist, außer...“ Die Schlußfolgerung, die er nicht ausspricht, scheint ihn zu erschrecken und jetzt ist seine Unruhe deutlich zu sehen.

Energisch schüttelt Sundara den Kopf, zieht beinahe hastig an der zu einem Stummel geschwundenen Zigarette. Sie schaut Yresen an, und es ist Verunsicherung und Nervosität in ihrem Blick zu vernehmen. Der Blick geht an die Decke, der rechte Schneidezahn bohrt sich in die Unterlippe, die linke Hand fährt durch ihre Haare. Dann kehrt der Blick zu Yresen zurück.

„Nein!“ sagt sei ruhig, nicht unfreundlich, aber bestimmt. „Nein, wir sind alle erst seit kurzem hier. Ich meine, wir alle brauchten eine ganze Weile, um überhaupt mitzukriegen, wo wir sind. Freilich, du hast recht, wenn man sich an etwas nicht erinnern kann, dann kann das Vergessene alles mögliche sein. Aber ich glaube es einfach nicht. Ich weiß nicht, wo Ira die ganze Zeit gesteckt hat. Ich weiß nicht, wo Keresin die ganze Zeit gesteckt hat. Ihm fehlt ja auch ein schönes Stück Erinnerung, nicht ganz so viel wie Ira, aber immerhin. Aber wären die schon mal hier gewesen, dann würden die doch irgendwas auf die Reihe kriegen, von dem ganzen verwirrenden Zeug hier, den Angma und den Eisenhallen, den explodierenden Libellen, komischen Behältern, die einem...“

Sie unterbricht sich selbst. Sie schaut Yresen an. Ihr scheint etwas in den Sinn gekommen zu sein. Es wirkt nicht, als würde sie bereuen, etwas gesagt zu haben. Aber sie mustert Yresen nun etwas genauer - bisher lagen ihr Blick ja meist in den blassblauen Augen des Halbfremden, zum ersten Mal scheint sie sich die ganze Erscheinung anzusehen.

„Ich kann dir doch vertrauen?“ fragt sie dann. „Ich meine, du rennst doch nicht zu denen und erzählst ihnen brühwarm, was ich dir sage, oder?“

Die Schatten zeichnen das schmale Gesicht noch hohlwangiger als es ohnehin ist und im Verein mit dem seltsamen Glanz in seinen Augen erinnert der Ausdruck an einen fanatischen Asketen, dem sich seine Götter, trotz aller Prüfungen und Härten, die er sich selbst auferlegt, nicht offenbaren wollen. Er kann nicht viel älter sein als 30 Stürme doch die tiefen Linien in dem schmalen Gesicht lassen ihn älter erscheinen. Zu wenig Nahrung, stetige Bewegung und psychischer Druck haben ihn hager gemacht. Als er sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht, kann Sundara seine Hand sehen, die mit den langen Fingern, wie die eines Künstlers oder Gelehrten aussieht. Er hört seiner Gesprächspartnerin aufmerksam zu obwohl er immer noch irritiert erscheint.
„Dann bist du die Einzige die sich vollständig erinnern kann?“ : erkundigt er sich, fährt aber fort. „Seltsam. Ich habe bisher geglaubt nur ich kann mich nicht erinnern.“ Nachdenklich sieht er Sundara an. „Vielleicht sollen wir uns nicht erinnern.“: sagt er leise und lacht dann bei ihrer letzen Frage auf. Aber es ist keine Heiterkeit in diesem kurzen Gelächter. „Du hast Fragen. Mir vertrauen? Wie willst du mir vertrauen, wenn ich mir selbst nicht vertraue? Ich weiß nicht wer ich bin, verstehst du?“ Er wedelt heftig mit der Linken. „Verstehe mich nicht falsch! Ich bin nicht verrückt! Ich weiß das ich Yresen bin, aber ich weiß nicht was ich bin. Vielleicht bin ich ein Meuchler oder ein Dib und Betrüger. Ich weiß es einfach nicht. Mir vertrauen wäre dumm.“: sagt er mit Bestimmtheit. „Aber auf eines kannst du dich verlassen. Ich werde sicher nicht in die Eisenhallen hinunter steigen um den Angma Bericht zu erstatten. Sie jagen mich! Sie wollen mich fangen! Selbst wenn ich verrückt wäre, würde ich da nicht hinunter steigen. Lieber stoße ich mir den Dolch ins Herz. Das kannst du mir glauben.“

Nachdenklich sieht Sundara zunächst auf den Boden vor sich. Noch einmal zieht sie an der Zigarette, besinnt sich aber schnell eines Besseren, wird der Stummel doch höchst unangenehm an ihren Fingern zu spüren sein. Und so fliegt besagter Stummel auch in hohem Bogen in das Loch, durch das sie wenig zuvor noch gekommen sind. Sie pustet auf die Finger der noch immer verbundenen Hand. Nicht hastig, wie es die meisten Röhrenbewohner bei einem plötzlich aufgetretenen Schmerz tun würden. Viel mehr wirkt es wie ein obligatorisches Ritual, das durch zu viele Gedanken nur halbherzig ausgeführt wird.

„Erinnern,“ sagt sie schließlich und wendet ihren Blick erst dann wieder Yresen zu. „Erinnnern, naja, wer kann sagen, ob er sich an alles erinnert? Ich erinnere mich an mehr als Ira oder Keresin. Und da Lenari aus ganz einem anderen Winkel der Röhre kommt, wo einfach nicht dasselbe vorgefallen ist, so ist es einfach sehr schwer festzustellen, an wie viel sie sich erinnert. Aber, wenn du so fragst, ich kann nicht sicher sein, ob ich mich an alles erinnere. Ich habe aber auch nicht den Eindruck, als hätte ich etwas vergessen.“

Plötzlich presst sie die Augen zusammen, steht auf und geht zwei drei Male gedankenverloren in dem Raum hin und her. „Verdammt, ich bin wirklich nicht die Klügste, dass mir das noch nicht in den Sinn gekommen ist, dass es mir gleich gehen könnte wie Keresin oder Ira, und dass einfach noch niemand hergekommen ist, um mich aufzuklären, was da drüben alles vorgefallen sein könnte, seit ich weg bin.“

Sie bleibt stehen und sieht Yresen an. „Du musst wirklich denken, ich hätte so viel Grips wie ein halbes Zwysel. Aber gut, ist ja auch egal. Es geht mir um etwas anderes.“

Sie geht zurück zu ihrem Platz, nestelt an dem Verband um ihre Hand herum und zieht anscheinend etwas hervor. Dieses etwas kann nicht sehr groß sein, es ist vollkommen in ihrer Linken verborgen. Sie setzt sich wieder hin, fixiert Yresen wieder mit ihrem unnachahmlichen, eigenartigen und doch wunderschönen Blick.

„Du bist kein Meuchelmörder, denn du hattest bereits dein Messer an meiner Kehle, und ich lebe noch. Wenn du ein Dieb wärest, ich wüsste nicht, was du mir stehlen könntest, was hier überhaupt einen großen Wert hat. Wo man doch alles mit zwei oder drei Gefälligkeiten erhalten kann. Und ein Betrüger... würde ein Betrüger jemandem weis machen wollen, in so einem Verschlag zu wohnen? Würdest du mir nicht erzählen, du wärst Mitglied dieser Eisenhallenbande und könntest mir was weiß ich wie viel weiterhelfen? Nein, wenn du mir sagst, du steckst mit denen nicht unter einer Decke, ist das für mich - wenigstens im Moment - vollkommen ausreichend, und, ehrlich gesagt, ich hätte es auch nicht vermutet. Aber so wie du es sagst, wie es deine Augen sagen, da kann ich wohl Vertrauen in dich haben.“

Sie macht eine kleine Pause, hält ihm dann die linke Faust hin, mit den Fingern nach oben. „Ich habe nämlich etwas gefunden, einen Behälter aus Metall, und der war gar nicht so leicht zu knacken, und wie ich es geschafft habe, da ist plötzlich Feuer daraus hervorgeschossen und hat mir die Hand angekokelt. Und da war das drin. Ich habe keine Ahnung was das sein könnte, Inara meinte, es könnte ein Schlüssel sein. Kannst du mir sagen, was das ist?“

Und sie öffnet ihre Faust. Und präsentiert das Irgendetwas, das sie eben in dem Ding gefunden hat.

Still hört Yresen zu. Als Sundara aufsteht und ein paar Schritte hin und her geht sagt er leise: „Bei mir sind es nur winzige Bruchstücke, an die ich mich erinnere. Es ist wie ein Mosaik aus dem nur mehr ein paar Steinchen da sind.“ Leise seufzt er: „Weißt du,ich beneide euch. Selbst wenn deine Freundin etwas vergessen hat, weiß sie woher sie kommt, wer sie war und wer sie ist.“ Dann schüttelt er den Kopf. „Nein, warum soll ich glauben das du blöde bist? Für dich stellt sich die Frage gar nicht, weil du nichts vermißt, in deinen Erinnerungen. Warum solltest du also darüber nachdenken?“

Ein Lächeln erscheint für einen Augenblick auf dem abgehärmten Gesicht als ihn Sundara so ansieht, wie sie es tut, doch dann verschwindet es so schnell wie es gekommen ist. „Währscheinlich wäre es klüger jetzt einfach den Mund zu halten. Aber du hast mir Erinnerungen geschenkt, also will ich dir die Wahrheit sagen. Ich hätte es getan, wär ich mir sicher gewesen, daß du eine Angma oder einer ihrer Dienerinnen bist. So wahr mir die Gottin helfe, ich hätte es getan! Aber mit dem Betrüger hast du vermutlich recht. Was wäre ich für ein Betrüger, der mit der Wahrheit betrügt?“ Für einen Moment klingt etwas wie Ironie in seiner Stimme. „Trotzdem ich würde mir an deiner Stelle nicht trauen.“ Interessiert schaut er sie an, als von ihrem Fund spricht. Als sie ihm ihren Fund zeigt, werden Yresens Augen groß und dann schleicht sich wieder Mißtrauen in seinen Gesichtsausdruck. „Ich weiß….nein ich weiß nicht was das ist, aber ich habe eine Ahnung. Aber das nützt dir nicht viel.“

Sundara zuckt mit den Schultern. Sie nimmt das Irgendetwas und klemmt es sich zwischen die Zähne, formt sich noch eine Zigarette, nimmt dann das Irgendetwas aus dem Mund und legt es sich auf den Oberschenkel. Dann steckt sie sich die Zigarette an, zieht daran, bläst den Rauch in die Luft und sieht daraufhin Yresen wieder an.

„Weißt du,“ sagt sie dann, „wenn du so wenig von alledem verstehst wie ich, dann beginnst du halt irgendwann mit dem großen Grübeln. Ich meine, warum sollten die zum Beispiel allen einen Teil ihrer Erinnerungen nehmen, und mir nicht? Was ist bei mir anders? Warum nehmen sie dir die gesamte Erinnerung, Ira zehn Stürme, Keresin vier, mir gar nix? Aber egal, ist im Endeffekt ihr Problem, wir können es eh nicht ändern. Es ergibt auch keinen Sinn, warum die uns hierhergebracht haben, aber auch das können wir nun einmal nicht ändern. Außer wir schaffen es, wieder zurückzugehen.“

Wieder zieht sie an ihrer Zigarette.

„Jedenfalls will ich einfach so langsam mit dem Verstehen anfangen,“ fährt sie dann fort. „Und wenn ich das alles verstehen will, dann werde ich halt früher oder später einen von hier fragen müssen. Und jetzt versuch einmal, dich in mich hineinzuversetzen. Wem sollte ich also nun vertrauen? Der hilfsbereiten, freundlichen Misaki, die Ira das Leben rettet, mich zu Essen und Tee einlädt und so tut, als wäre sie meine Mutter? Dem Wirt, der uns herzlich hier aufnimmt, uns gleich zum Essen und Trinken einlädt und uns gleich einmal eine ganze lange Reihe von Tipps gibt, wie man hier am Besten über die Runden kommt? Shasla, die sich zwar ziemlich garstig gibt, aber dann doch irgendwas zwischen Respekt und Kumpelhaftigkeit an den Tag legt? Oder aber dir, der du plötzlich über mich herfällst, mir ein Messer an die Kehle hältst und ziemlich wirres Zeug daherredest, der einem vorhält, jemand zu sein, von dem du bisher nicht einmal wusstest, dass es das überhaupt gibt? Ganz ehrlich, es müsste schon sonderbar zugehen, würden die gerade dich als Köder nehmen. Also, sage mir, wenn ich hier jemandem vertrauen soll, wem soll ich es tun?“

Sie nimmt nun wieder das Irgendetwas von ihrem Bein und hält es Yresen erneut hin.

„Jede Ahnung ist besser als komplettes Unwissen,“ sagt sie. „Was ist das?“

Jetzt ist es an Yresen mit den Schultern zu zucken. „Das habe ich mich schon oft gefragt, warum? Ich habe keine Antwort darauf. Ich weiß nicht warum man uns vergessen läßt oder noch Schlimmeres mit unseren Köpfen anstellt. Weißt du, vielleicht können wir uns nicht erinnern, weil wir gar nicht wir selbst sind. Vielleicht sind es falsche Erinnerungen, diese Bruchstücke. Wenn man jemanden vergessen lassen kann, dann kann man vielleicht auch Erinnerungen machen. Vielleicht bist du gar nicht Sundara und ich nicht Yresen.“ Er sieht Sundara von der Seite her an. „Ich weiß wie sich das anhört. Ganz nach dem verrückten Yeresen. Ja, ja. Aber hast du schon einmal daran gedacht?“ Er schüttelt leicht den Kopf. „Darüber kann man wirklich verrückt werden.“: sagt er leise nd hört dann Sundara zu.

„Siehst du, du glaubst auch, daß ich nicht ganz richtig bin im Kopf. Es war kein wirres Zeug, ich hab dir nur die Wahrheit gesagt und wer geht denn freiwillig in das Haus einer Angma? Was hättest du in meinen Schuhen getan? Hättest du geglaubt das deine Geschichte stimmt?“ Er schüttelt wieder den Kopf. „Es sind Angma! Mache nicht den Fehler und beurteile ihre Handlungen und Gedanken nach deinem Verständnis. Vielleicht bin ich der Köder, weil ich nicht so aussehe als wäre ich es? Das wäre ihre Art. Aber wenn es so ist weiß ich davon nichts.“ Der Blick mit dem er sie ansieht hat nun gar nichts mehr Verwirrtes an sich. „Hier kannst du Niemandem vertrauen! Vielleicht nicht einmal dir selbst. So einfach ist das. Alles könnte ein Werk ihrer Magie sein.“ Für einen langen Augenblick sieht auf ihre Hand mit dem gefundenen Gegenstand. „Das ist so ein Zauberding, es ist ein Kaud. Es ist viel mehr als ein Schlüssel! Aber wie ich dir schon gesagt habe, das hilft dir nicht viel. Wir wissen nicht welche Magie in diesem Kaud wirkt. Vielleicht ist es nur ein Schlüssel, vielleicht befiehlt er den Yureiwächtern an einem der Eisentore, vielleicht ist er noch mächtiger. Ich weiß es nicht! Sicher ist nur das sie Zauberdinger sind, die die Angma hüten wie ihre Augäpfel. Deswegen frage ich mich, wie bist du an den Kaud gekommen?“

Die Hand mit dem Kaud schließt sich wieder, geht zurück zu ihrem Körper. Die Ellbogen senken sich auf ihre Knie, und die ganze Sundara sinkt, auf ebendiese Ellbogen gestützt, nachdenklich in sich zusammen. So sitzt sie nun eine ganze Weile, mit geschlossenen Augen, bis auf die Bewegung des Unterkiefers, das immer wieder ihre Unterlippe zwischen die Schneidezähne schiebt, praktisch regungslos. Dann sieht sie auf und Yresen an.

"Nein," sagt sie dann ruhig, ihn mit noch immer nachdenklichem Blick fixierend, "das macht auch wieder keinen Sinn. Ich meine, wenn ich jemandem eine Erinnerung einpflanze, dann sieht die so aus, dass mir der dann ganz und gar hörig ist. Dann brauche ich auch keine Hüter, die hier herumrennen, dann muss ich nicht alle die ganze Zeit zu beobachten, dass die ja nix machen, was mir gegen den Strich geht. Außerdem habe ich ja noch diese Sragonschrammen hier," und sie hebt ihre rechte Schulter, "die meine Erinnerung unterstützen. Vielleicht hast du dich zu weit aufgelehnt, dass sie dir nachher noch einmal die Erinnerung nehmen wollten. Du sagtest ja, du wärest in den Hallen gewesen. Ich war da noch nicht. Aber, wie gesagt, ich weiß es nicht, aber einen Sinn zu suchen, wo es womöglich keinen Sinn gibt, ist ganz schön anstrengend. Allerdings ist es noch viel anstrengender, etwas zu bekämpfen, was einfach keinen Sinn ergibt, weil man dann einfach nie weiß, wie man es anstellen soll."

Sie richtet sich wieder auf, verstaut den Kaud wieder im Verband ihrer rechten Hand, reibt sich anschließend mit den Handballen die Augen, zieht an der Zigarette und sieht dann Yresen wieder an.

"Ich habe Avellyana-Zweige geschnitten, um Pfeilschäfte herzustellen," antwortet sie. "Im Westen, vor der Stadt. Und da bin ich über einen Metallzylinder gestolpert, habe den ausgegraben und, naja, das war drin. Also, reichlich unspektakulär. Was ich mich freilich ebenso frage, wenn das so überaus wertvoll ist, warum liegt das irgendwo herum? Logisch, ich würde es nicht unbedingt bereuen, wenn man mit diesem Ding denen ihre gesamte Hüter- und Wachmannschaft außer Betrieb setzen könnte. Einfach mal hingehen und diese Ober-Angma oder wie die heißt einfach selbst einmal fragen, was das Ganze hier soll...."

Einen Moment lang schaut sie Yresen wieder an, dann fährt sie fort: "Was anderes, du sagtest vorher, HIER könnten sie uns nicht sehen. Aber, sag mal, wo können sie dich denn überall nicht sehen? Ich möchte raus aus dem Haus, in dem ich bisher wohnte, und es wäre nicht schlecht, irgendwo eine Bleibe zu finden, in der sie einen ebenfalls nicht sehen könnten... Woran erkenne ich diese Orte? Ist es alles, was unter der Stadt liegt? Ist es jedes Haus, das einem einfach so über den Weg läuft, und sie sehen dich nur im Freien? Ich mag es nicht besonders, die ganze Zeit überwacht zu werden, weißt du..."

Leicht schüttelt Yresen den Kopf. „Du machst es schon wieder. Das ist nicht gut! Sie denken nicht wie du und ich, ihre Beweggründe können so unbegreiflich sein, wie ihre Magie und einen Kratzer könnte sogar ich dir zufügen.“ Dann aber wird er still und es dauert ein Wenig bis er weiter spricht: „Vielleicht hast du damit recht, vielleicht bin ich ihnen wirklich lästig geworden, vielleicht wollten sie mich bestrafen oder...“ Hilflos zuckt er mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, ich kann mich nicht erinnern. Aber eines weiß ich, die machen nichts ohne Sinn und Zweck.“ Als Sundara von bekämpfen spricht, schaut Yresen entgeistert. „Die Angma bekämpfen? Wer ist hier verrückt? Es sind Angma! Wenn du dich umbringen willst, dann schneide dir die Pulsadern auf oder stürz dich in deine Klinge! Das ist schnell und sauber.“ Er schaut noch immer entgeistert als sie von ihrem Fund berichtet, unterbricht sie aber nicht dabei. Je länger ihr Gespräch dauert, desto mehr verflüchtet sich der verwirrte, leicht verrückte Eindruck den er bisher gemacht hat.

„Ausgegraben hast du ihn also. Dann muß er alt sein, sonst hätten sie ihn gesucht und nicht einfach liegen lassen. Vielleicht ist für eine der dunklen Zonen. Das würde erklären warum man ihn nicht vermißt.“ Dann sieht er sie wieder verblüfft an. „Eine der Großen fragen? Das meinst du jetzt aber nicht ernst? Oder?“ Zweifelnd sieht er Sundara an, beantwortet aber dann ihre Frage. „Ich weiß es nicht mit letzter Sicherheit, aber ich bin öfter hier und sie haben mich niemals hier aufgestöbert. Also nehme ich an, daß sie mich mit großer Wahrscheinlichkeit weder sehen oder hören können. Aber ich bin mir sicher, daß sie uns auf dem Platz mit dem Brunnen sehen und an ein paar anderen Orten auch. Zum Beispiel am Yubi, bei der Schmiede und der großen Ruine oder beim Haus Misakis, wie sie sich hier nennt. Unter der Stadt? In die dunklen Zonen der Eisenhallen sehen sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht und in viele Gängen und Kellern der ersten Ebene auch nicht, aber sonst überall.“ Dann bebt die Erde für einen Augenblick lang schwach.