Forum Übersicht - RE: Auf Aufklärung - 2

Sundara ist erst ein paar Vat gerollt, als sie eine gedämpfte, aber aufgeregte Stimme hört. „Um Lijans Willen! Bleib liegen! Wenn du dich bewegst zieht sich das Fangnetz nur enger zusammen. Hörst du! Bleib liegen!“ Es ist schon so dunkel geworden, daß Sundara nur die Umrisse einer hageren Gestallt ausmachen kann, die sich vorsichtig aus Dunkel eines Hauseingangs löst und auf sie zukommt. „Keine Angst! Yresen tut dir nichts! Nein, Yresen tut dir nichts.“: sagt der Mann beruhigend. „Hör mir zu! Das Fangnetz bleibt nicht lang stabil. Es löst sich von selbst auf. Du mußt nur ruhig liegen bleiben! Ich sage die Wahrheit. Oh ja, die Wahrheit.“ Er kauert sich neben Sundara auf die Hacken. „Du mußt wirklich verrückt sein einfach in das Haus der Angma zu laufen. Ja, wirklich verrückt! Aber von mir sagen sie daß ich verrückt bin!“ Yresen kichert für einen Moment. „Ich weiß du bist mit den Anderen gekommen. Aber…“ Der Tonfall seiner Stimme ändert sich, wird mißtrauisch und auch ängstlich. „Vielleicht bis du eine von denen. Ja, ja, eine von denen. Eine Falle für Yresen! Du mußt eine von denen sein sonst hätten sie dich nicht wieder laufen lassen.“ Eine schnelle Bewegung, ein kurzes Aufblitzen und Sundara hat die Spitze einer Messerklinge an der Kehle. „Sag’s mir! Bist du eine von denen?“ Die Stimme klingt jetzt schrill und panisch.

Sundara bleibt liegen, als sie die Stimme hört. Sie bemerkt jetzt, dass der Mann recht hat. Sie könnte sich nun nicht mehr aufrichten, so eng liegt das Netz an ihrem Körper. Ja, fast fällt es ihr schon schwer, überhaupt zu Atem zu kommen. Sie dreht den Kopf zu dem Mann und sieht in an, mit einem offenen, intensiven Blick, wobei der freilich ob der fehlenden Helligkeit weit weniger effektvoll sein wird. Aufmerksam hört sie ihm zu, sie wendet den Blick nicht ab, obwohl dieser freilich immer fragender und verwunderter wird. Freilich zuckt Sundara kurz, als sie das Messer an ihrer Kehle spürt. Sie wehrt sich nicht. Was freilich in ordentlichem Maße auch damit zu tun haben könnte, dass sie das einfach nicht kann, verschnürt sie ist.

„Das hängt ganz davon ab, was du unter Denen verstehst,“ antwortet sie dann. Der Tonfall ist ehrlich und offen, unterstrichen von eben diesem unnachahmlichen Blick. „Aber wenn du Die glaubst, die uns hierher gebracht haben, die das alles hier wohl gebaut haben, dann nein, bei allen Göttern, dann bin ich nicht eine von Denen. Und sollte ich eine Falle sein, so wäre ich so zugeschnürt wohl eine sehr, sehr schlechte Falle, oder?“

Kurz sieht sie ihn an. Dann fragt sie unvermittelt: „Was ist eine Angma?“

Der Druck der Messerspitze wird stärker und ritzt leicht die Haut über Sundaras Kehlkopf. „Ha, ich kann mich nur schlecht erinnern, aber ich bin nicht blöde. Nein, Yresen ist nicht blöde! Also rede nicht mit mir wie mit einem Verrückten. Ich bin nicht verrückt!“: sagt die ärgerliche Stimme nicht weit von ihrem Ohr entfernt. „Vielleicht haben sie dich hier hergelegt, weil sie wissen das ich da bin. Ich habe zwar aufgepaßt, aber sie sehen viel, sehr viel, besonders in der Nacht. Oh ja, besonders nachts. Rechnen damit das Yresen hilft und wenn das Fangnetz zerfällt, dann fällst du über mich her und die anderen Yurei kommen. Nein, nein, da habt ihr die Rechnung ohne den Wirten gemacht….“ Verblüfft schweigt Yresen als Sundara frägt was eine Angma ist. „Jeder weiß was die Angma sind! Jeder! Du machst dich nur lustig über Yresen.“: klingt seine Stimme jetzt böse. „Du bist wie alle Anderen. Machst dir dein Späßchen mit dem Verrückten, aber das……“ Yresen stockt für einen langen Moment. „Aber ich weiß du bist mit den Anderen aufgewacht. Ja, ich habs gesehen. Vielleicht .. aber nur vielleicht weißt du es wirklich nicht. Ich sag es dir. Die Angma sind die Dämonen, denen die Yurei dienen, ihre Oberherren, die in den Eisenhallen die verfluchte Göttin anbeten und die seit dem zweiten Zeitalter über diese verfluchte Insel herrschen. Aber Yresen traut dir nicht! Kein bißchen traut dir Yresen!“ Der Druck der Messerklinge wird jedoch etwas schwächer.

Kurz verdreht Sundara die Augen, als sich die Spitze des Messers durch die Epidermis an dem doch recht empfindlichen Kehlkopf drängt. Dann schließt sie dieselben und atmet tief durch die Nase.

„Ja,“ sagt sie dann, „ja, sie haben mich hier abgelegt. Wenn sie die sind, die du meinst. Aber sie haben mich sicher nicht hier abgelegt, damit du mich findest. Um ehrlich zu sein, bis eben wusste ich gar nicht, dass es dich überhaupt gibt. Und bis vor drei Tagen wusste ich nicht, dass es diese Insel überhaupt gibt.“

Sie schaut Yresen nun wieder an. Der Blick wirkt nicht so, als würde sie lügen - aber kann man das überhaupt noch erkennen?

„Jedenfalls muss ich zugeben, dass ich von dem, das du mir hier erklärst, ungefähr so viel verstehe, wie ein Roputan, den man in die Geheimnisse des Neuen Kultes einweihen will,“ fährt sie dann fort. „Was sind Yurei? Und ich habe gestern Misaki kennengelernt, sie hat meiner Freundin geholfen. Sie wirkte auf mich nicht wie ein Dämon. Also meinst du, Misaki ist nicht die Misaki, die wir kennengelernt haben? Und wer ist hier sonst noch ein... ein... Angma, oder wie das Wort lautete?“

Einen kurzen Moment lang macht sie eine Pause. „Bitte, Yresen, wir alle, die wir hier aufgewacht sind, wir möchten verstehen, was das hier ist, wo wir gelandet sind und warum. Das ist alles. Wie kann ich dir Böses wollen, wenn ich bis eben noch nicht einmal von dir wusste?“

„Du brauchst mich nicht zu kennen um mir Böses zu wollen. Die Angma vollbringen Wunder mit der Kraft der verfluchten Göttin. Sie können viele Wünsche erfüllen, sehr viele!“ Die Stimme Yeresens klingt jetzt völlig normal und treibt einem doch die Gänsehaut hoch. „Vielleich hast du Wünsche. Wünsche die dir viel wichtiger sind als Yresen?“ Für eine kleine Weile, die Sundara wie eine Ewigkeit vorkommen mag, schweigt Yresen. Die Messerklinge liegt immer noch an ihrer Kehle. „Ich weiß nicht was ein Neuer Kult ist.“: sagt er dann ruhig. „Aber ich weiß, daß diejenige die sich Misaki nennt eine Angma ist. Ich habe sie in den Eisenhallen gesehen, oh ja ich habe sie gesehen. Es gibt viele, aber nur ganz wenige zeigen sich hier oben. Oh nein, sie schicken die Yurei, die Totengeister, die ihnen dienen und manchmal ihre Wächter und Hüter, so wie heute. Es sind ihre Hüter gewesen, die dich gefangen haben. Oh ja, ihre Hüter. Wieso haben sie dich laufen lassen? Sag mir, wieso haben sie dich nicht in die Eisenhallen verschleppt? Vielleicht bist du keine von Ihnen, aber du stehst in ihren Diensten? Ist es nicht so?“

Sundara seufzt tief. Sie versucht instinktiv, das Netz wenigstens etwas zu lockern, mit dem Ergebnis, dass es noch ein kleines Stück enger wird. Die Arme schmerzen inzwischen ganz schön, insbesondere der, dessen Hand noch immer die Sehne und den Pfeil umklammert und der in reichlich unnatürlicher Art und Weise an den Körper gepresst wird. Eine Falte des Missfallens bildet sich auf Sundaras Stirn, für einen Augenblick. Sie atmet inzwischen etwas schwerer, und wenn sie spricht, macht sie immer wieder Pausen, um wieder Luft zu holen.

"Du bist der, der das Messer in der Hand hält," sagt sie schließlich. "Also sollte ich eigentlich viel mehr Grund haben, dir zu misstrauen, als umgekehrt, findest du nicht? ... Und ich habe keine, aber wirklich nicht die geringste Ahnung, warum mich diese Hüter nicht in diese ... ominösen Eisenhallen gebracht haben. Ich höre das erste Mal von diesen Yurei ... von den Angma, von den Hütern. Ich weiss nur, dass ... Misaki wohl noch einen anderen Namen trägt, Ishi-irgendwas. ... Kennst du diesen Namen denn? Die Hüter-Tussi hat sich ... nämlich einmal versprochen."

Sie sieht Yresen dabei immerfort in die Augen. Sie atmet nun tief, muss wohl wieder zu Luft kommen. Dann fügt sie hinzu: "Ich kann dich nicht zwingen mir zu glauben, aber ich bin keine von ... denen. Und ich werde bei Lijans geringeltem ... Schweif einen Teufel tun, um in ihre Dienste zu ... kommen. Von mir aus können die alle zusammen ... morgen zu Lijan fahren."

Sie kneift nun das Gesicht zusammen, bewegt den Kopf leicht hin und her, wodurch freilich das Messer wieder etwas am Hals kratzt. "Sag mal ... wie lange dauert das denn noch, bis dieses bekackte Netz sich auflöst?"

„Ruhig, ruhig!“: sagt Yresen beruhigend. „Wenn du dich rührst wird es nur enger.“ Als Sundara davon spricht, daß sich die Hüterin versprochen hat und etwas wie Ishi.. erwähnt hat, weicht plötzlich der Druck der Messerklinge von ihrer Kehle. „Ishikawa Erji! Ja, ja! Ich habe gewußt, daß sie in den Eisenhallen einen anderen Namen gehabt hat, aber ich habe ihn vergessen. Jetzt erinnere ich mich! Yresen dankt dir! Du hast ihm ein Stück Erinnerung zurückgegeben.“ Sundara kann keine Einzelheiten im dunklen Oval seines Gesichtes erkennen, als sich der Mann zu ihr hinunter beugt, dazu ist es schon zu dunkel. Aber sie kann die Freude aus der aufgewühlten Stimme heraushören. „Vielleicht sagst du die Wahrheit, vielleicht nicht. Ich trau dir nicht. Aber du hast mir ein Stück Erinnerung geschenkt.“ Ein Tropfen fällt auf Sundaras Gesicht. Speichel ist es nicht aber vielleicht eine Träne. „Du weist gar nicht was das für mich bedeutet. Immer nur vergessen und jetzt kommt eine Erinnerung zurück. Oh ja, ich erinnere mich. Misaki ist Ishikawa Erji!“ Als Sundara den Namen der dunklen Göttin ausspricht, zuckt Yresen zurück. „Bei allen Göttern! Du darfst diesen Namen nicht wie ein Fluch aussprechen! Niemals! Hörst du! Niemals! Das bringt nur Unheil ihren Namen zu schmähen!“ Yresen kommt auf die Beine. „Sie wird die Yurei auf uns hetzten. Ich muß gehen! Muß gehen!“ Panik macht seine Stimme schrill und so schnell wie Yresen gekommen ist verschwindet er wie von hungrigen Warriags gehetzt im Dunkel, läßt Sundara allein auf der Straße zurück.

"Warte!" ruft Sundara dem eigenartigen Mann hinterher. Ruckartig versucht sie, sich aufzurichten. Noch einmal zieht sich das Netz zusammen und schnürt ihr endgültig den Atem ab. Sie sinkt zu Boden, röchelt verzweifelt im Versuch, die so notwendige Atemluft zu erhalten. Schon verschwimmt die Umgebung vor ihren Augen, als der Druck plötzlich abnimmt. Die Lungen füllen sich mit Luft, der Brustkorb dehnt sich aus, die Fäden reißen. So schnell wie möglich springt sie auf und rennt 30 oder 40 Vat in die Richtung, in die Yresen verschwunden ist. Doch sie kann ihn nicht mehr erblicken. Mit den Händen fährt sie sich über die zerkratzten Arme, klopft den Staub von der Hose. Sie sieht sich noch einmal um, nur um festzustellen, dass der Mann so urplötzlich verschwunden zu sein scheint, wie er vorhin aufgetaucht ist. Sundara seufzt tief. Bogen und Pfeil verschwinden wieder im jeweiligen Köcher, dann beginnt Sundara wieder zu laufen. Die Knie schmerzen bei jedem Schritt, doch Sundara beißt die Zähne zusammen. Und so ist sie zwar nicht ganz so schnell wie auf dem Hinweg, legt aber doch eine beachtliche Geschwindigkeit an den Tag... oder an die Nacht, was ob der Tageszeit freilich der bessere Ausdruck wäre. Zwar hat es abgekühlt, trotzdem beginnt Sundara bald wieder zu schwitzen, ist doch die Nacht noch nicht so weit fortgeschritten, als dass die Schwüle des Tages gänzlich vergessen wäre. Und so ist sie wieder klatschnass vor Schweiß, als sie bei dem Haus ankommt. Sie stürmt durch die Tür.

----> Das alte, neue Haus