Forum Übersicht - RE: 3. Tag - Trockene Kehle - 2

Ninim ihrerseits hat inzwischen damit begonnen, einige Blumen in Vasen zu stellen und diese Vasen anschließend auf die Tische im Schanklokal zu verteilen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Lokal insgesamt inzwischen einen viel gepflegteren Eindruck macht, als wenn Stanchek geschaltet und gewaltet hat. Nun ist es ja nicht schmutzig gewesen, vorher, im Silberkrug. Und doch merkt man nun eindeutig die Liebe zum Detail, die Frauen nun einmal viel mehr eigen ist als einem durchschnittlichen Mann. Und fast könnte man auch schon die baulichen Unzulänglichkeiten vergessen, unter denen der Silberkrug leidet. Anscheinend hat das Lokal wenige Gäste, die mit Ausbesserungsarbeiten bezahlen - vom undichten Dach hat Ninim schon gesprochen, doch werden dem Offizier auch zahlreiche andere, sicher weniger schwerwiegende Abnutzungserscheinungen aufgefallen sein. Diese sind jedoch so zahlreich, dass wir hier wohl besser auf eine genaue Aufzählung verzichten. Gerade will sie also erneut mit zwei Vasen die Theke verlassen, als sie die Frage innehalten lässt. Es scheint ihr zu gefallen, wie der doch recht direkte Mann ganz dezent bei ihr vortastet. Für einen Augenblick tritt ein Leuchten in ihre Augen, das über das kühle Strahlen hinausgeht, und auch das Lächeln ist zunächst etwas breiter als normal. Schnell kehrt Ninims Mimik jedoch wieder in die gewohnten Muster zurück.

„Man kann jede Frage stellen,“ antwortet sie schließlich mit einem weiteren Ninim-Lächeln, verführerisch und kühl zugleich, mit ganz leicht gespitzten Lippen, einer gehobenen Augenbraue, doch Augen, die über einen klaren Glanz nicht hinausgehen. „Man sollte jedoch nicht erwarten, auf jede Frage eine Antwort zu erhalten.“

Sie bleibt jedoch stehen, zwar ohne die Vasen niederzustellen, und trotzdem scheint sie geduldig die Frage erwarten zu wollen.

Keresin hebt seinen Kopf früh genug von seinem Teller um Ninims Lächeln zu sehen, daß ein wenig anders ausfällt als sonst. Er legt das Messer aus der Hand und für einen kurzen Moment sieht er sie aus seinen grauen Augen einfach nur an und sein Blick ist weder kühl noch zurückhaltend wie so oft. Nicht das er Ninim anglotzt wie ein Viljana die neu gestrichene Stalltüre, aber er verbirgt eine gewisse Faszination nicht, die sie auf ihn auszuüben scheint. Dann schmunzelt er. „Nun die Frage ist nicht so schlimm. Ich will weder wissen wo ihr eure Dublenen vergraben habt noch welche Farbe euere Unterwäsche hat.“ Das er mit Dublonen eine Ausdruck verwendet, den sie möglicherweise nur aus dem Zusammenhang verstehen kann, aber nicht als Begriff, fällt ihm gar nicht auf. „Ich habe mich nur gefragt, ob ihr wie ich und die Anderen hier aufgewacht oder ob ihr hier in dieser seltsamen Stadt aufgewachsen seid.“ Sein Schmunzeln wird etwas breiter. „Also ich erwarte jetzt nicht unbedingt eine Antwort auf meine Frage, aber um ehrlich zu sein, es interessieren mich.“

Vergnügt schaut Ninim den Vorovisen an, einen Augenblick lang stumm, dann erschallt ein glockenhelles Lachen. Schließlich kehrt ihr Blick wieder zu dem Mann zurück, sie stellt die Vasen nun endlich auf den Thresen. Wieder mustert sie ihn einen Augenblick lang recht vergnügt, schließlich antwortet sie: "Also, wenn dies Eure heiklen Fragen sind, dann fragt nur zu, was immer Ihr wollt, schöner Mann! Aber ich kann Euch versichern, ich war noch nie irgendwo anders als auf unserer Insel, und ich war schon sehr lange nicht mehr irgendwo außerhalb dieser Stadt. Ich meine, was soll ich auch anderswo - mir das Gehirn von der Soa rösten lassen und dann die verbrannten Reste vom Mittagsregen wegwaschen?"

Sie nimmt nun die Vasen wieder auf, zwinkert Keresin zu und stellt diesselben auf zwei der Tische, die durch den Blumenschmuck zwar immer diesselben roh gezimmerten Tische bleiben, aber doch um einiges netter anzusehen sind. Bald kehrt sie zu der Theke zurück, nimmt sich die nächsten Vasen vor.

"Ich kann Euch versichern, es gibt auf der ganzen Insel nichts, was irgendwie sehenswert wäre. Es gibt also einfach keinen Grund, die Stadt zu verlassen, außer vielleicht zur Jagd. Außer bei Kaninchon, die gibt es auch in der Stadt genug. Und Ihr werdet feststellen, es gibt wenige Orte, an denen es angenehmer ist, als bei mir hier im Silberkrug."

Schon hat sie die Blumen in den Vasen zurechtgezupft und kehrt zur Theke zurück. Dort hält sie inne und schaut nun Keresin plötzlich etwas verwundert an.

"Was ist das eigentlich für ein Zeug, das Ihr vorhin erwähnt habt? Ich meine, diese Dobbelinen und diese Unterwäsche?"

Jetzt wird auch Keresins Schmunzeln zu einem Grinsen. „Ich habe nicht behauptet das es eine heikle Frage ist. Wäre sie heikel gewesen hätte ich sie hübscher verpackt.“: gibt er launig zurück. Als sie ihm Ninim zuzwinkert muß er sich eingesteht, daß er sie mit jedem Atemzug anziehender findet. Es ist nicht nur ihre kaum zu übersehende Attraktivität es ist auch ihre Art zu lächeln, sich zu bewegen und ihr ständiger Tanz zwischen Verlockung und Zurückweisung. Für einen Augenblick fragt er sich wie wohl ihr Haar riechen mochte, schiebt aber den Gedanken sofort zur Seite als er Ninim Insel sagen hört. Er hatte sich also bei seinem ersten Orientierungsversuch am Strand nicht geirrt. Dies war weder Hul oder eine Insel der Yanalas und schon gar nicht Vensheger-Himmelslicht oder Shaxon A. „Wir befinden uns auf eine Insel?“: frägt er nach. „Wißt ihr vielleicht...“ Dann bringt ihn ihre Frage und ihre Nähe aus dem Konzept. „Dublenen sind Münzen in meiner Heimat. So etwas wie eure Mon, doch sie werden von jedem genommen und man kann alles damit bezahlen. Unterwäsche? Nun das ist etwas das sich meist Damen unter der Kleidung anziehen um aufregender auszusehen, wenn sie sich ausziehen.“: erklärt er mit einem Grinsen und kann seinen Blick nicht von ihrem Antlitz lösen.

Die Antwort schein Ninim nicht ganz zu überzeugen, wenigstens schaut sie fast noch verwunderter wie vorhin.

"Ihr meint also, in Eurem Land ziehen sich die Leute unter der Kleidung etwas an, damit es schöner ist, wenn man die Kleidung auszieht?" fragt sie also eher skeptisch. "Aber was soll denn schön dabei sein, etwas auszuziehen, wenn man danach doch wieder bekleidet ist? Das wäre ja, als würde ich mit dreckigem Wasser meine Gläser spülen, damit sie danach genauso dreckig sind wie vorhin. Und wenn ich unter dieser Unterwäsche noch etwas anziehe, wäre ich dann in Eurem Land noch schöner?"

Eine ganze Weile sieht sie nun also Keresin in die Augen, ungläubig, fragend, und auch recht unsicher. Fast so, als hätte Keresin ihr gesagt, er bräuchte ein Karkech-Gespann mit acht Karkechs um danach hinter einer Gruppe Fußgänger vom Lantisgarten zum Silberkrug zu fahren. Bald jedoch fasst sie sich wieder, und die vornehme und doch kokettierende Kühle kehrt in ihren Blick zurück.

"Ja, wir befinden uns auf einer Insel. Ein Stück Land mit viel Metchà rundherum, wenn man mal von den paar Inseln absieht, die um unsere Insel herumliegen," erklärt sie, und so verwundert sie vorhin gewirkt hat, um so mehr scheint sie das nun gesagte einfach als selbstverständlich hinzunehmen. Sie lässt dann ihren Blick über die mit Blumen geschmückten Tische schweifen und nickt zufrieden. Sie zieht sich nun einen Barhocker heran und setzt sich darauf, einen guten Vat von Keresin entfernt. Als sie die Beine übereinanderschlägt, rutscht das obere durch den langen Schlitz ihres Rockes und offenbart es damit in seiner ganzen Länge, Schlank- und Schönheit. Kein Makel, kein Pickel, nur feine, weiße Haut. Und doch öffnet sich der Rock nur so weit, dass das Vorhandensein etwaiger Unterwäsche zwar anzunehmen sein könnte, ob ihrer Verwunderung vorhin jedoch eher unwahrscheinlich ist.

"Diese Dublonen müssen sehr schön sein," meint sie dann, "wenn wirklich jeder sie annimmt. Ich meine, Stanchek steht auf diese Mon, ich mag sie nicht sonderlich. Ich habe zwar zwei oder drei davon an einer Kette, trage sie aber fast nie."

Es ist kein Hohn in Keresins amüsierten Auflachen bei Ninims Schlußfolgerung. „Das wäre etwas übertrieben unter der Unterwäsche noch etwas anzuziehen, glaubt mir. Die Sache ist so, daß diese Art Unterwäsche dazu dienen soll die körperlichen Vorzüge noch zu unterstreichen. Ein Hauch Spitze hier, ein Hauch Seide da…...“ Keresin merkt zum Glück recht schnell, daß ihm die Vorstellung einer spärlich in Spitze gekleideten Ninim die Sprache verschlagen hat. Er räsuspert sich etwas verlegen und senkt den Blick für einen Moment, aber nur für einen Kleinen. „Äh, also was ich sagen wollte...hm..nein, ich wäret in meiner Heimat nicht schöner, wenn ihr unter der Unterwäsche noch etwas an hättet.“: rettet er sich etwas verlegen halbwegs über die Situation und ist dankbar das Ninim das Thema wechselt, denn die Bilder in seinem Kopf lassen sich so leichter in einen etwas dunkleren Winkel drängen. „Eine Insel also und so wie der Hafen aussieht vermute ich das hier schon seit langer Zeit kein Schiff mehr angelegt hat, oder?“ Fragend sieht er Ninim an, die sich in diesem Moment neben ihn setzt. Für einen langen Augenblick sieht er sie nur an. Es fällt ihm schwer dann den Blick wenigsten für einen Moment von ihr zu lösen. Aber der Moment dauert nur ein, zwei Herzschläge lang. Überrascht schüttelt er den Kopf als Ninim von den Münzen spricht. „Nein, schön sind Dublonen nicht, kleine Zylinder aus Gold mit Prägungen an beiden Enden. Niemand würde daraus Schmuck machen. Eure Mon sind viel hübscher. Aber man kann sich alles damit kaufen. Es gibt genug Leute deren ganzer Lebensinhalt darin besteht, den Dublonen nachzujagen.“ Er erinnert sich an die Monate die er in Elurien verbracht hat und einen Moment lang verziehen sich seine Mundwinkel verächtlich. „Manche würden sogar die Gebeine ihrer Vorfahren ausgraben, wenn sie damit ein paar Dublonen verdienen könnten.“

Ninim zieht die Augenbrauen zusammen, ein untrügliches Zeichen dafür, dass ihr das eben Gesagte doch etwas befremdlich dünkt.

"Seid mir nicht böse," sagt sie dann, und ihr kühler Blick ruht in dem Keresins, "aber die Leute in Eurem Land sind schon etwas sonderbar. Warum sollte ich alles darum geben, um etwas zu besitzen, das weder zu etwas nütze ist noch besonders schön? Obwohl sie stattdessen so viel Nützliches tun könnten? Ich verspreche Euch, solange Ninim hier etwas zu sagen hat, werdet Ihr hier alles bekommen, ohne irgendwelche Dubbelonen ankarren zu müssen. Wir werden uns immer einigen."

Sie rutscht nun von ihrem Stuhl, geht hinter die Theke und bereitet mit dem heißen Wasser wieder einen Tee, wobei sie wieder genauso vorgeht wie vorhin.

"Aber ein einem habt Ihr recht," sagt sie dabei. "Ein Schiff ist hier schon lange nicht mehr angekommen. Also, sehr lange, denn ich habe noch nie eines gesehen. Und ich bin doch schon eine ganze Weile hier auf dieser Insel. Ich wüsste auch nicht, was so ein Schiff hier machen sollte. Wir haben alles, was wir brauchen, und wir würden jetzt aber auch nicht was weiß ich was hergeben wollen. Also, wenn Ihr am Hafen auf ein Schiff warten wollt, da werdet Ihr wohl sehr lange warten müssen."

Sie kehrt mit der Tasse Tee zu ihrem Stuhl zurück und setzt sich darauf. Das nackte Bein rutscht wieder durch den Schlitz. Sie pustet, ja haucht mehr mit spitzen Lippen auf den Tee, dann nippt sie davon. Dann schaut sie Keresin wieder an. Es dauert etwas, bis sie zu reden beginnt.

"Darf ich Euch ein Geschäft vorschlagen?" fragt sie den Vorovisen. "Ihr bringt mir eine solche Unterwäsche, mit Seide und Spitze und was da alles dazugehört, zeigt mir, wie man so etwas trägt, und dafür könnt Ihr für drei Tage hier essen und trinken, so viel Ihr wollt."

Sie schaut ihn nun erwartungsvoll an.

„Nicht sonderbarer als anderswo. Auch in Elurien, in Gilgat sogar bei den Katzen ist es nicht anders. Mit Dublonen bekommt man alles was man sich nur vorstellen kann, Kleidung, Möbel, Nahrung, Waffen, Vergnügen, sogar Macht.“ Dann verbessert er sich. „Nein das stimmt nicht ganz. Es gibt Dinge die man nicht kaufen kann, aber die sind auch bei uns eher rar von anderswo gar nicht zu reden.“ Dankend neigt er leicht den Kopf in Ninims Richtung. „Ich danke euch für euer Angebot, das ist sehr freundlich von euch. Ich wüßte ohnehin nicht wo ich Dublonen herbekommen sollte. Ich bin hier nackt aufgewacht und alles was ich bis heute morgen besaß befand sich in dieser Tasche, die ich neben mir fand.“ Keresin nimmt einen Schluck von seinem Tee und sein Blick folgt Ninim hinter die Theke. Er macht keinen Hehl daraus, daß ihn ihre Auskunft über den verwaisten Hafen bedrückt. Für einen Moment senkt er den Kopf. „Das habe ich befürchtet. Trotzdem bitter für mich.“ Er hebt den Kopf erst wieder als sich Ninim erneut zu ihm setzt. Aber als ihm Ninim ein Geschäft vorschlägt ist die Melancholie aus seinem Gesicht gewischt. Man kann Keresin nicht vorwerfen, daß er sein Herz vor sich her trägt, aber jetzt zeigt sich ein ganzes Spektrum von verschiedenen Emotionen auf seinem Gesicht. Zuerst Überraschung, dann begehrliche Freude bei der Vorstellung Ninim in Dessous zu sehen und schließlich Enttäuschung. Wo sollte er hier am Arsch der Röhre Spitzenunterwäsche her bekommen? Er schluckt erst einmal kräftig, bevor er ihr antwortet: „Ihr könnt mir glauben nichts was ich lieber täte. Aber...“Das er für dieses Vergnügen gar nicht bezahlt zu werden braucht, sagt er nicht. Aber hilflos zuckt er mit den Schultern. „Ich wüßte nicht wie ich an solche Unterwäsche kommen könnte.“ Sein Gesichtsausdruck ist reines Bedauern, doch da fällt ihm diese seltsame Schneiderin ein und sein Gesicht hellt sich auf. Vielleicht ist nicht alles verloren. „Aber ihr habt mein Wort, ich werde es versuchen.“

Ninim lächelt, und zum ersten Mal kommt so etwas wie Wärme in ihre stahlgrauen Augen. "Es gibt vieles hier auf der Insel, man muss nur danach suchen. Besonders aber müsst Ihr zuerst wissen, wonach Ihr suchen wollt. Sonst werdet Ihr es nicht finden."

Die Wärme dauert nicht lange an, wieder fällt sie zurück in ihr übliches Gehabe. Sie wird wieder ernst, sieht Keresin an, reibt mit einer Handfläche auf ihrem Oberschenkel. "Ich weiß, es klingt jetzt etwas blöd," meint sie dann, "aber ich denke, Ihr solltet Euch einfach damit abfinden, ja anfreunden, dass Ihr jetzt Bewohner dieser Insel seid. Ich kenne Euer Land nicht, aber glaubt mir, es ist nicht alles schlecht hier. Man kann hier ganz gut leben. Roald ist zwar höchst sonderbar, aber es gibt hier eigentlich, mal abgesehen von den Marodeuren, eigentlich keine schlechten Menschen. Das ist ganz angenehm. Ich denke, Ihr werdet mit Shassla gut auskommen, ebenso mit Misaki. Und mit mir sowieso. Und wer weiß, vielleicht kommen ja noch weitere Leute aus Eurem Land hier an. Dann könnt Ihr Euch ja Eure eigenen Dubbelonen bauen und Euch diese dann gegenseitig wegnehmen. Nur eines werdet Ihr trotz fünf Fuder Dubbelonen hier nicht haben: Macht. Es gibt hier nur eine Person, die Macht hat, und das ist die Ehrenwerte. Aber ich finde, das ist auch gut so."

Sie gleitet von ihrem Stuhl und sieht Keresin noch immer an. "Noch etwas Tee?"

Die Wärme in ihren Augen macht sie noch begehrenswerter, als sie ohnehin schon ist und Keresien muß sich eingestehen, daß es schwer ist für ihn in Ninims Nähe einen kühlen Kopf zu bewahren. „Da ist natürlich etwas Wahres dran, vor allem daran das man wissen muß wonach man sucht.“: entgegnet er mit einem schalkhaften Schmunzeln. Doch ihre nächsten Worte bringen ihn schnell wieder auf den Boden der Insel zurück und vertreiben den spitzbübischen Glanz aus seinen Augen. Allein die Vorstellung das er hier für den Rest seiner Tage gefangen sein könnte, verursacht ihm Übelkeit. Die Dringlichkeit, die er sich gestern aus dem Kopf gesoffen hatte und die heute durch die verwirrend-faszinierende Gegenwart Ninims verdrängt war, hat ihn plötzlich wieder in den Klauen. In Vobra tobte der Kampf gegen die Invasoren und er saß hier hilflos herum! Er wählt seine Worte vorsichtig. Weder will er Ninim beleidigen noch sie anlügen: „Das kann schon sein, daß man hier ganz gut leben kann. Ich will das gar nicht bestreiten, aber das ist nicht der Punkt. Ich bin Soldat. In meiner Heimat kämpfen meine Kameraden in diesem Augenblick gegen die Invasoren. Vielleicht hat die Schlacht um Vorovis schon begonnen und ich sitze hier herum statt meine Pflicht zu erfüllen. Verdammnis! Wißt ihr wie sich das anfühlt? Ich komme mir vor wie ein elender Deserteur! Ich muß hier weg, egal wie. Ich habe einen Eid geschworen und es ist meine Pflicht und Schuldigkeit alles zu versuchen. Versteht ihr mich? Es ist……...“ Ninims Frage unterbricht ihn und nahezu automatisch nickt er. „Ja, bitte.“ Dann wird ihm bewußt das Ninim über eine Machthaberin gesprochen hat. „Wer ist diese Ehrenwerte?“: erkundig er sich wißbegierig.

Mit einer eleganten Handbewegung nimmt Ninim die Tasse vor Keresin. Sie geht mit ihr hinter die Theke, mit ihrem eleganten, leichten, etwas aufreizenden Gang. Sie stellt die Tasse in die Spüle und nimmt eine neue von dem Bord. Sie füllt nicht die alte Tasse auf, wie es wohl in jeder Kaschemme der Röhre der Fall gewesen wäre. Und so passt Ninim kaum in diese leicht heruntergekommene Spelunke namens Silberkrug, vielmehr würde ihr eines der eleganten Lokale der Hauptstadt stehen, in der Leute verkehren, die mit den Dublonen, Auran und wie die Münzen alle heißen mögen nur so um sich werfen. Sie gibt wieder etwas Teepulver in die Tasse, füllt die Tasse auf und rührt das Wasser schaumig.

"Ich kann Euch schon verstehen," sagt sie. "Aber Deserteur... Wenn Ihr Richter wäret, ein gerechter Richter, würdet Ihr Euch verurteilen? Denn nur dann seid Ihr ein Deserteur. Ihr müsst mit Euch genauso ehrlich und gerecht sein, wie Ihr es bei jedem anderen wäret."

Ein kurzer Blick trifft Keresin, dann nimmt sie die Tasse und stellt sie vor Keresin auf den Thresen. Schließlich stützt sie sich mit beiden Händen an dem niedrigeren Teil der Theke, auf dem sie die Getränke zubereitet ab, gerade vor Keresin, beugt sich leicht nach vorne. Ein Bein schnellt hinten in die Höhe. Die Brüste werden von ihren Oberarmen zusammengedrückt und kommen so nur noch mehr zur Geltung, doch wirkt auch dies nicht billig, gewollt lasziv. So wie jede Bewegung, jeder Blick, jedes Zucken ihres Gesichtes etwas leicht Verführerisches in sich hat, ohne dass man sich sicher sein könnte, dass sie dies bewusst tut - oder dass es eben viel auch nur ihrem Äußeren zu verschulden ist.

"Die Ehrenwerte," meint sie dann. Sie spitzt die Lippen, ihr Blick geht nachdenklich an die Decke. "Die Ehrenwerte, ja, wer ist die Ehrenwerte? Die Ehrenwerte ist eben die Ehrenwerte. Sie erscheint, wenn es ihr beliebt zu Erscheinen, und sie ist abwesend, wenn sie ihre Anwesenheit für unnötig erhaltet. Sie kann Euch heilen, wenn Ihr krank seid, sie kann Euch helfen, wenn Ihr in Not seid. Sie kann Euch verdammen, wenn Ihr in Ungnade fallt. Aber wenn es jemanden gibt, der Euch sagen kann, wie Ihr von hier wieder wegkommt, dann ist es die Ehrenwerte. Das heißt, wenn es ihr beliebt, es Euch zu sagen."

Ein erstaunter Ausdruck zeichnet sich für einen Moment auf Keresins Gesicht hab, als Ninim seine alte Tasse nimmt und eine Saubere für seinen zweiten Tee nimmt. Irgendwie fühlt sich Keresin an das in ganz Vobra berühmte Luxuslokal in der Seidenstraße erinnert, in dem er nur zwei, drei Mal in seinem Leben gewesen war. Es war nicht unangenehm, ganz im Gegenteil, vor allem weil seine Bedienung Ninim hieß. Mit einer Geste ärgerlicher Hilflosigkeit antwortet er ihr. „Ja, ich weiß, daß ich nichts dafür kann, hier zu sein. Ich habe es weder gewollt noch irgendeinen Anteil daran. Aber das weiß nur mein Kopf. Hier….“ Er deutet auf seine Brust „hier drin fühlt es sich so an als ob ich dessertiert wäre.“ Dankend nimmt er seinen Tee entgegen. Als sich Ninim zu ihm vorbeugt, ist es wieder da, dieses Gefühl von ihr angezogen zu werden, wie eine Motte vom Licht. Er versteht eine Menge von Kampf, Strategie und Taktik, aber kaum etwas von weiblichen Verhalten. Keresin hätte viel dafür gegeben zu verstehen, ob es einfach ihre Art ist, sich zu geben oder berufliche Routine, mit der sie ihre Schönheit beeindruckend in Szene setzt ohne jemals gekünstelt zu wirken. Erst ihre Worte über die Ehrenwerte reißen ihn von seinen Betrachtungen los und vor allem ihre letzten Sätze wecken seine ungeteilte Aufmerksamkeit. „Diese Ehrenwerte kann mir sagen, wie ich von hier fort komme? Wo kann ich sie finden? Wie erkenne ich sie überhaupt?“: entfährt es ihm aufgeregt.

Ninim schmunzelt, schaut ihrem Gegenüber eine kurze Weile tief in die Augen.

"Ja," sagt sie dann, "meistens ist es leichter, den Kopf von etwas zu überzeugen als das Herz. Aber Ihr seid kein Deserteur. Und glaubt mir, Ninim hat über die Jahre etwas Menschenkenntnis erlangt."

Sie richtet sich nun wieder auf, zupft kurz die Bluse zurecht, dann geht sie zur Spüle, kippt aus einem großen Krug Wasser hinein und spült die Tasse ab. Schließlich nimmt sie einen Lappen, trocknet die Tasse und stellt sie wieder auf das Bord.

"Ihr habt mich nicht richtig verstanden," sagt sie währenddessen. "Man findet die Ehrenwerte nicht. Die Ehrenwerte findet Euch, wenn es ihr beliebt. Und wenn sie Euch findet, dann werdet Ihr sie erkennen. Die Ehrenwerte ist die Ehrenwerte, mit jeder Faser ihres Körpers, mit jedem Haar ihres Fells. Es ist ganz und gar undenkbar, dass Ihr sie nicht erkennen würdet. Das könnt Ihr mir glauben."

Sie verlässt nun wieder den Raum hinter dem Thresen und kehrt auf ihren Stuhl bei Keresin zurück. Wieder schlägt sie die Beine übereinander. Dieses Mal gewinnt jedoch die Reibung den Kampf über die Schwerkraft. Das Bein bleibt verhüllt. Sie sieht Keresin an und grinst.

"Ihr könntet denjenigen halb tot schlagen, der mir mit dem Kadaver den Tisch da drüben versaut hat," sagt sie mit scherzhaftem Unterton. "Dann würde die Ehrenwerte wohl kommen, und derjenige würde sich hüten, Ninim noch einmal einen Tisch zu ruinieren."

„Diese Frau ist gefährlicher als eine ganze Abteilung Sragoninfanterie!“: ruft sich Keresin im Gedanken zur Ordnung als Ninim ihm tief in die Augen schaut. Er spürt ganz deutlich sein Herz pochen und hofft das er sich nicht allzu viel anmerken läßt. Er weiß das er ihr nicht viel entgegenzusetzen hat sollte sie es darauf anlegen ihn in ihren Bann zu schlagen. Viel mehr als Wachs wäre er wohl nicht in ihren Händen. Da er sogar dieser Vorstellung etwas abgewinnen könnte bleibt nur eins, Abstand halten. Zumindest nimmt er es sich vor und kann nicht verhindern, daß ihm ein kleiner Seufzer entfährt, den er mit einer schnellen Antwort zu kaschieren versucht: „Ja, ihr habt sicher recht.“ Dann nimmt er einen Schluck Tee während sich Ninim abwendet und von der Ehrenwerten erzählt. Als sie etwas von Fell sagt, dauert es einen Moment bis er schaltet, aber dann entgleist sein Gesicht vor Abscheu . „Ich bitte euch, sagt mir jetzt nicht das die einzige Person in dieser Stadt die mir unter Umständen sagen könnte, wie ich wieder nach Hause komme, eine lijanverfluchte Katze ist!“ Er schüttel in fast schon komischer Verzweiflung den Kopf. „Die Monate in Elurien waren schlimm genug. Ich Narr habe tatsächlich gehofft das ich wenigstens hier von diesen Abschaum verschont bleibe. Hostinos steh mir bei!“ Dann setzt er noch ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten einen ordinären Fluch in vorovisianischem Gossendialekt drauf.

Ninim springt geradezu von ihrem Stuhl. Sie entfernt sich einige Schritte von Keresin, schaut zur Tür zu den Fenstern, zur Decke. Sie kehrt wieder hinter die Theke zurück, nimmt die Tasse von vorhin und spült sie noch einmal ab. Sie stellt die Tasse wieder auf das Bord, nimmt einen Lappen und putzt die Arbeitsfläche, die zwar alt ist und starke Abnutzungsspuren aufweist, aber doch von makelloser Sauberkeit ist. Wie wild schrubbt sie auf der Arbeitsfläche, dass eine leicht Röte in ihr Gesicht steigt. Schließlich hält sie inne. Sie sieht Keresin unverwandt an, und als sie nun zu sprechen beginnt, ist in ihrer Stimme etwas Schneidendes. Allerdings sind die Augen zu geweitet, um aggressiv zu wirken, und auch die Arme, die ihren Oberkörper umfassen, zeugen davon, dass Ninim sich eher in sich zurückzieht, als dass sie auf Keresin losgehen würde. Keresin kennt diese Reaktion nur zu gut aus seiner Zeit in der Schwarzen Stadt. Es ist genauso, wie wenn einem Einwohner ein Freund etwas gesagt hätte, was man in Vorovis besser nicht sagt. Schrecken, Empörung, und letztendlich auch Angst, dass das Gesagte Konsequenzen für einen selbst haben könnte.

"Hört Ninim nun gut zu," sagt sie also. "Ihr sprecht nie, nie, nie wieder so von der Ehrenwerten. Und in meiner Gegenwart schon ganz und gar nicht. Habt Ihr mich verstanden? Wenn Ihr die Ehrenwerte in diesem Raum noch einmal in dieser Art und Weise beleidigt, dann nehmt Euren Kristall und schert Euch zu Lijan, dann will ich Euch hier nicht mehr sehen."

Sie sieht ihn nun abwartend an. Natürlich ist sie immer noch bildschön, sind ihre Züge immer noch wie von feinstem Porzellan, aber trotzdem hat man nicht den Eindruck, als würde sie das Gesagte nicht ernst meinen.