Forum Übersicht - Der Platz der Tänzerin » Fahne und Ehre

<---- Neuer Tag, neues Glück

Keresin geht Richtung Brunnen im Zentrum des Platzes. Aber als er weit genug von dem überdachten Teil des Silberkruges entfernt ist, um bei normaler Lautstärke nicht mehr gehört zu werden bleibt er stehen. Nicht aus Rücksichtnahme auf Ira. Doch Angelegenheiten der Reichsarmee sind Sache der Reichsarmee, nicht die von Fremden und schon gar nicht von Ketzern.

<--- Neuer Tag, neues Glück

Als sie draußen unter dem Sonnendach an Sundara vorbei kommt macht sie ein hilflos ratlose Geste. Aber sie folgt Keresin. Sie ist sich nicht sicher was los ist, aber eine Ahnung steigt ihr auf. Auf einmal kommt sich Ira vor als wär sie einem Albtraum den sie schon einmal geträumt hat. Nur ist es kein Albtraum. Sie schluckt ein paar Mal. Verdrängt die Erinnerungen. Vor Keresin bleibt sie stehen. Zuerst wollte sie es kameradschaftlich angehen. Aber als sie in sein Gesicht schaut nimmt sie Haltung an und grüßt. „Rottenführer Ira Verra, wie befohlen zur Stelle.“: meldet sie mit fester Stimme. Sie schaut auf einen Punkt über der Nasenwurzel Keresins und wartet.

Für zwei Herzschläge ist der ganze Platz bis auf die Rufe der Vögel still, dann macht Keresin einen Schritt auf Ira zu und beginnt zu sprechen. Seine Stimme ist beherrscht, kalt und schneidend: „Rottenführer, euer Auftreten in der Schenke vorhin war nicht nur völlig unangebracht sondern unwürdig. So führt sich eine Hafenhure auf, kein vorovisianischer Soldat! Euer Verhalten ist eine Schande für die Uniform, die ihr tragt. Ihr zieht mit eurem schamlosen Fehlverhalten die Ehre der Fahne und des Reiches in den Schmutz und schädigt das Ansehen jedes Soldaten der Reichsarmee. Traurig genug, daß man euch das erst sagen muß! Ich verbiete euch bei sofortiger Strafe jegliche Wiederholung solcher oder ähnlicher öffentlichen Auftritte. Habe ich mich klar ausgedrückt, Rottenführer?“

Sie weiß es. Sie weiß ganz genau, daß sie nur „Jawohl!“ sagen muß. Wie sie es schon hunderte Male gemacht hat. Ein „Wird nicht mehr vorkommen“ dazu und in zwei, drei Tagen wäre alles vergessen. Aber sie kann nicht. Der Schock des Aufwachens, die verlorenen Jahre, die ganzen Erniedrigungen in der Garnison alles kommt hoch. Keresins Vorwürfe sind der letzte Tropfen der das Faß zum Übergehen bringt. Es bricht aus ihr heraus: „Die Scheißkerle von Offizieren die die halbe Truppenverpflegung in die eigenen Taschen stecken, Ausrüstung und Waffen verhöckern und die Soldaten fürs Fehlen bestrafen, die sich die hübschesten Rekruten ins Bett holen und sie zerbrechen wenn sie sich weigern, was ist damit? Was? Die sind keine Schande für die Uniform die sie tragen? Die Idioten, die ganze Züge sinnlos in den Tod schicken, weils so heroisch ist und gut für die Karriere, was ist mit denen? Halten die Ehre der Fahne hoch? Verdammt noch einmal, mach die Augen auf!“: schreit sie Keresin ins Gesicht.

Für einen langen Augenblick ist Keresin derart perplex, daß es ihm die Rede verschlägt. Er hat in seiner Laufbahn in der Reichsarmee vieles gesehen, auch Ungehorsam und Auflehnung, aber ein derartiges Aufbegehren gegen einen kommandierenden Offizier und völlige Mißachtung aller gültigen Regeln der Reichsarmee ist ihm noch nie untergekommen. Aber er fängt sich schnell.
„Schweigt!“: fährt er Ira an. „ In meiner Eigenschaft als rangältester Offizier des Standorts degradiere ich euch mit sofortiger Wirkung. Des Weiteren stelle ich euch unter Arrest und klage euch gemäß der Bestimmungen des Armeestrafrechts wegen unwürdigen Benehmens, Ungehorsams und Aufruhrs an. Da jedoch ein Tribunal bei derart schweren Vergehen aus mindestens zwei Offizieren bestehen muß, wird das Kriegsgerichtsverfahren bis zur Heimkehr nach Vobra ausgesetzt. Bis dahin wird auch die Arreststrafe wegen Undurchsetzbarkeit nicht vollzogen. Jetzt geht mir aus den Augen!“ Kersin hat sich schon halb abgewandt, als er sich nochmals zu Ira umdreht. „Euer Vater hat völlig recht gehabt, euch zu verstoßen. Ihr seid in der Tat nichts als ein Schandfleck.“: sagt er mit kalter Endgültigkeit.

Ira hört sich reden und sie weiß, daß sie sich um Kopf und Kragen redet. Aber sie kann nicht aufhören. Zu lange hat sie alles in sich hinein gefressen. Ein Zurück gibt es sowieso nicht mehr. Also läßt sie mir ihrem besten Leck-mich-am-Arsch-Gesicht Keresins Ausbruch über sich ergehen. Kriegsgericht! Es ist ihr völlig klar was das bedeutet. Wenn sie Glück hat, die Todesstrafe. Wenn sie Pech hat, die Minen. Aber noch sind sie nicht in Vobra. Noch kann viel geschehen und auch ein Offizier kann einen Unfall haben. Sie will schon mit einer Kehrwendung abtreten, als sie die letzten Worte Keresins treffen, wie ein Peitschenhieb. Ihr Gesicht wird weiß wie ein Leichentuch. Ihre Augen füllen sich mit Träenen. „Du Scheißkerl, du Verdammter!“: flüstert sie heiser und dann passiert etwas in der Reichsarmee Undenkbares. Ira greift mit aller Kraft und all ihrem Können an. Eine ganze Serie von Schlägen und Tritten praßelt auf Keresin herein.

Die Angriff überrascht Kersin völlig. Sofort fließt Blut. Er kann dem ersten Schlag nicht mehr ganz ausweichen und Ira fügt ihm eine Wunde über der linken Augenbraue zu, die stark blutet. Auch den ersten Tritt muß er teilweise einstecken und knickt für einen Bruchteil eines Augenblicks leicht ein. Doch dann gehen Iras Schläge ins Leere oder werden geblockt. Ira ist kräftig und sie ist gut, aber gegen Keresin hat sie nicht den Hauch einer Chance. Es ist nicht so sehr die Kraft, die ihn überlegen macht, sondern seine Technik. Der Kampf dauert nur ein paar Augenblicke, dann muß Ira drei Treffer einstecken und geht zu Boden. Sie ist noch bei Bewußtsein, aber kommt nicht mehr auf die Beine. Keresin wischt sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht. „Ich werde dafür sorgen, daß dein Name für alle Zeiten aus den Stammrollen gelöscht wird.“: sagt er durch die zusammengebissenen Zähne. „Im Namen des Herrschers stoße ich dich aus der Reichsarmee aus und erkläre dich für rechtlos und vogelfrei. Der einzige Grund warum ich dir nicht gleich das Genick breche ist weil der Tod für dich keine angemessene Strafe ist.“ Sein Tritt trifft sie an der rechten Seite und fegt sie zur Seite. Iras Kopf schlägt auf das Pflaster und verkrümmt bleibt sie liegen. Unter ihrem Kopf bildet sich langsam eine Blutlache. Keresin würdigt sie keines Blickes mehr. Als er zum Brunnen hinüber geht, kann man sehen daß auch er etwas abbekommen hat, so schief wie er den Oberköper hält.

---> Neuer Tag, neues Glück

"Verfrellt, seid ihr denn alle komplett von Sinnen?"

Dieser Ruf gellt über den Platz der Tänzerin, als Sundara den Silberkrug verlässt. Sofort ist ihr die regungslos am Boden liegende Ira aufgefallen. Die paar Stufen von der Türe auf den Platz nimmt sie mit einem Satz. Und wenige Augenblicke später ist sie auch schon bei der anscheinend verletzten Blonden. Sozusagen im Rennen lässt sie sich auf die Knie fallen, rutsch noch einen halben Vat über das Pflaster und beugt sich über die Vorovisin. Natürlich fällt ihr sofort die blutende Wunde am Kopf auf - hat sie doch schon deutlich ersichtliche Spuren auf dem Pflaster gefunden. Mit einer Hand will sie das lästige Insekt verscheuchen. Schließlich sind offene Wunden und Insekten meist eine recht unglückliche Kombination. Mit erschrockenem Gesicht sieht Sundara auf. Sie schaut nach links, sie schaut nach rechts. Niemand ist mehr zu sehen, hat sich doch Keresin bereits aus dem Staube gemacht. Sundara denkt nicht lange nach. Sie streift sich den Bogenköcher über den Kopf, und wieder ist es ihr Hemd, das daran glauben muss. Mit dem Kurzschwert trennt sie einen Ärmel ab, schlitzt ihn auf und wickelt ihn Ira notdürftig um den Kopf. Wenigstens vor Insekten ist sie nun geschützt. Sie weiß, dass sie etwas Branntwein braucht, um das alles zu desinfizieren, und sie weiß auch, wie sie einen solchen kriegt. Und es ist ihr egal, was sie dem lüsternen Wirt dafür geben muss.

Sundara schiebt ihre Arme unter die gekrümmt daliegende Ira Verra. Es bracht einige Anstrengung, die großgewachsene, muskulöse Frau anzuheben. Das Gesicht färbt sich in eine angestrengte Röte, ein Stöhnen verlässt ihre Lippen, doch schließlich hat sie es geschafft. Sie trägt Ira zum Silberkrug. Langsam erklimmt sie die Stufen. An ihrer Stirn bilden sich einige Schweißperlen - wiegt Ira doch höchstwahrscheinlich um einiges mehr als sie selbst. Doch Sundara ist kräftig, und sie kann an ihre Grenzen gehen. Die Tür steht immer noch offen. Sie geht hinein.

----> Neuer Tag, Neues Glück

Zwar hört Keresin den Ruf der Elurierin aber er kümmert sich nicht darum. Der Brunnen ist zwischen Sundara, die sich mit Ira abmüht, und so bleibt Keresin, der sich das Blut aus dem Gesicht wäscht unsichtbar. Mehr noch als die angeknacksten oder gebrochenen Rippen schmerzt ihn die Tatsache, daß er von Ira so überrumpelt wurde. Er stößt einen leisen Fluch aus, überlegt einen Moment, dann setzt er sich in Richtung des Hauses in Bewegung, in der sie übernachtet hatten. Er braucht etwas das er zu einer Binde für seine Rippen verarbeiten konnte.

---> Asche im Mund