Forum Übersicht - RE: Die Augen einer Chira - 2

Mit einem Nicken quitiert sie Hels Erklärung und seine drängenden Frage.
"Das habt Ihr nicht, Hel. Mir hat noch nie viel daran gelegen, auf meine Privilegien zu beharren oder mit meiner Abstammung hausieren zu gehen,"
Doch sie antwortet nicht sofort auf die Fragen des Mannes, sondern schweigt einenm Moment.
Schlieslich atmet sie durch und beginnt, nach Worten suchend, zu sprechen.
"Ich glaube, so einfach ist die Frage nicht zu beantworten. Ohne Zweifel gelingt es, jemanden von Yorom zurück zu holen. Nichts anderes haben wir mit Ataeric getan im Haupthaus.
Auch, das man eine Verletzung wie die vom Krieger überstehen kann, sicher nur in einem der großen Tempel und dem entsprechenden Aufwand."
Sie nippt an ihrem Tee, den Blick nachdenklich auf den Tisch gerichtet.
"Grundsätzlich halte ich es möglich, jemand von den eisfeldern zurück zu holen, solange es nicht... lange dauert. Vielleicht ein paar Tage, aber dann? In welchen Körper sollder geist zurückkehren, vor allem nach 10 Jahren? Das klingt schier unmöglich. Und seht Euch doch an Hel. Ihr wurdet nicht schlicht von den Eisfeldern geholt. Ihr... steckt in einem jungen Körper. und das finde ich schier unbegreilich. Über so eine Macht verfügen die Götter allein."
Ihre Zungenspitze fährt über die Lippen und sie schüttelt den Kopf.

Seinen Blick auf die Chira gerichtet schweigt Hel. Dann kann Tessya sehen, daß sein Blick den Fokus verliert und er durch sie hindurch zu sehen scheint. Für eine kleine Weile sitzt er so da, regungslos und das Heben und Senken seines Brustkorbs sind die einzige Lebenszeichen. So plötzlich wie er in die Abwesenheit gedriftet ist fokussiert sich der Blick der grünen Augen wieder und in seinen Gesichtzügen spiegelt sich mit einem Mal innerer Zwiespalt, so als ringe er mit sich um eine Entscheidung. Dann nickt er leicht. „Daran habe ich auch gedacht. Das wäre die zweite Möglichkeit. Allerdings...“ Er unterbricht sich und greift er nach seinem Becher, nippt aber bloß daran. „Trotzdem, der Gedanke das ich ein wandelnder Leichnam sein könnte verstört mich zutiefst. Deshalb bin ich euch dankbar für eure offenen Worte und eure Einschätzung. Es hilft mir meinen eigenen Verdacht weiter in Zweifel zu ziehen.“ Er hat sich wieder besser unter Kontrolle und seine bedacht gewählten Worte sollen wohl den Eindruck vermitteln, daß seine Bedenken wenn schon nicht zerstreut, dann doch gemildert sind. Tessya kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren, daß er sich aus welchen Gründen auch immer dafür entschieden hat, das Wesentliche gar nicht auszusprechen um das Gespräch in ein ruhigeres Fahrwasser zu lenken.

Die Stirn der Chira kraust sich und zwischen den Augenbrauen bildet sich eine tiefe, steile Falte.
"Allerdings.. wer die Macht hat jemand zurück zu holen, kann ihn in einem anderen Körper binden oder sogar den alten Körper neu schaffen. Vielleicht haben SIE noch Möglichkeiten, die wir uns noch nicht einmal träumen lassen." Ihre Stimme ist leise und nachdenklich und die Worte eher an sich selbt gerichtet.
Jäh hebt sie den Blick und das intensive Bua ihrer Augen richtet sich auf Hel.
"Woran denkt Ihr , Hel? Mit irgendwas haltet Ihr hinter dem Berg, obwohl ich offen zu Euch war."

Für einen langen Moment erwidert Hel den Blick den Chira, dann nickt er leicht. „Ja, ihr habt Recht, ich verheimliche euch etwas. Nicht nur etwas, sondern das Wesentliche meiner Überlegungen. Aber ihr habt auch Recht damit, daß ihr offen gesprochen habt. Ich bin bloß im Zweifel darüber, ob es nicht vernünftiger ist, mir vorwerfen zu lassen, daß ich Gleiches nicht mit Gleichem vergelte, als den Mund aufzumachen.“ Wägend betrachtet er die Chira, dann hebt er in einer entschlossenen Geste kurz die Hand von seinem Becher. „Also gut. Ich bin oder war durchaus nicht so ungläubig wie ihr vielleicht annehmt. Ich bin völlig davon überzeugt, nein, ich weiß daß Götter existieren. Kennt ihr diesen Text?“ Unverwandt ruht der Blick der grünen Augen auf der Chira. Dann beginnt er mit Rezitation des Textes.
„Denn ich bin das Leben und die Fülle, ich bin Alles. So bin ich Nacht und Tag, Extase und auch Pein, bin die Wärme und der Frost, die Liebe und der würgende Tod.
Wenn ihr, die ihr meine Liebe habt, eure Körper abstreift und eure Seelen zu mir erhebet, damit ich euch vom Trunk des Lebens gebe, werdet ihr wieder eintreten ins Fleisch, denn aus meinen Brüsten strömt Unsterblichkeit, wie Honigwein.“
Seine Stimme ist wohltönend und feierlich, so als trüge er den Text einer Versammlung vor. Die Worte sind ihm so geläufig, daß er kein einziges Mal auch nur für einen Herzschlag lang stockt.

Aufmerksam liegt der Blick der Priesterin auf ihrem Gast. Seine Worte scheinen sie ein wenig zu beunruhigen.
Ihre Ohren zucken nervös. als Hel zu rezitieren anfängt und auch ihr Schweif zuckt unruhig, sie Worte scheinen sie zutiefst zu beunruhigen.
Langsam schüttelt sie den Kopf.
"Nein, ich kenne diese Worte nicht, Sie ghören zu keinem gebet, das ich je gehört habe. Und trotzdem sind es... solche Worte"
Unruhig fährt ihre Hand in ihr Genick, dort, wo sich ihr Fell aufgestellt hat, als würde ihr ein schauer über den Rücken jagen. Ihre Stimme klingt gepresst, als sie weiterspricht. "Ich habe Euch nie für ungläubig gehalten, Hel, doch gilt Eure Gläubigkeit jemandem, den ich zutiefst ablehne. Geht es Euch darum?"

„Es ist streng genommen kein Gebet. Es ist ein Zitat aus einem der ältesten Texte, dem Pfad des Sieges. Es hätte mich gewundert, wäre es euch bekannt gewesen.“: sagt Hel die Augen immer noch auf die Chira gerichtet. „Ich sage euch das nicht, weil mich plötzlich das Bedürfnis überkommt zu bekennen, sondern ohne Kenntnis dieser Überlieferung wären euch meine Überlegungen unverständlich.“ Zustimmend nickt er auf ihre letzte Frage. „Ja, es geht um Lijan und das nicht nur im metaphysischen Sinn. Verdrängt für einen Moment eure Ablehnung und laßt uns den Text genauer betrachten. Er spricht ausdrücklich von wieder ins Fleisch treten, von Wiedergeburt und damit Unsterblichkeit. Es gibt aber, zumindest in der mir zugänglichen Überlieferung, keinen Hinweis darauf, wie und wo diese Wiedergeburt stattfindet. In den inneren Kreisen wird davon ausgegangen, daß Wahre Selbst des Verstorbenen in einem Neugeborenen wieder über die Schwelle tritt, aber das ist nur eine Auslegung. Betrachtet jetzt im Lichte dieses Textes unser Hiersein und verratet mir, was euch dabei in den Sinn kommt.“

Unwillkürlich legen sich die Ohren der Chira an, ihr schweif wirkt aufgeplustert und schlägt klopfend auf den Boden.
Ihre Lippen sind vor Abscheu verzogen, entblössen das kräftige gebiss der Felliden.
Doch ihre Stimme klingt klar und beherrscht, jedoch spricht sie leise.
"Sprecht in meinem Haus NIE wieder diesen Namen aus. "
In ihren Augen tanzen Funken und für einige Herzschläge wirkt es, als würde sie ihn ohne federlesen einfach aus dem Haus werfen wollen.
Abrupt steht sie auf, der Stuhle knarzt ächzend über den Boden bei der ruppigen Behandlung.
Unruhig tigert sie durch die Küche, ihre ganze Haltung ist angespannt und ihre Schultern starr.
Ihre Finger schlingen sich ineinander, langsam schüttelt sie den Kopf.
"Ich verstehe, was Ihr meint, in welche Überlegung Eure Gedanken gehen. Das mag auf euch zutreffen, vielelicht noch auf Ataeric, über den wir nichts wissen. Aber was ist mit Vella? Sie ist keine Anhängerin..." sie zögert deutlich ehe sie weiterspricht. ">Sie ist anhängerind s alten Glaubens, wieso sollte sie wiedergeboren werden? Und auch wenn es erklärt, was Ihr hier macht, was ist mit mir? Mit Javero und Chelia? Wir waren definitiv nicht tot und trotzdem sind wir hier."

Hel neigt leicht den Kopf in ihre Richtung. „Ich wollte nur sicher gehen, daß es klar ist, worüber wir sprechen. Es wird nicht mehr vorkommen.“ Seine Augen folgen der Chira auf ihrem Marsch durch die Küche. „Das habe ich mich natürlich auch gefragt.“ Hel lehnt sich zurück. „Ich bilde mir nicht ein alle Schriften zu kennen und es besteht die Möglichkeit, daß es noch höhere Stufen der Einweihung gibt und diese Schrift, die ich zitiert habe, nur ein Teilaspekt des Ganzen ist. Aber woher wollt ihr wissen, daß ihr nicht tot wart? Ihr seid hier aufgewacht, wie alle Anderen auch. Ich habe Erinnerungslücken und Ataeric erinnert sich an gar nichts. Die Möglichkeit besteht, daß sie euch die Erinnerung an euren Tod genommen haben. Aber trotzdem bleibt der Widerspruch bestehen.“ Er nippt an seinem Becher. „Deshalb bin ich zu einem ganz ähnlichen Schluß gekommen wir ihr. Ob tot oder nicht, unser Hiersein ist göttlichen Eingreifen zuzuschreiben. Die Frage ist nur welche Seite hat ihre Hand im Spiel? Wenn wir die Stadt und die Situation betrachten, finden sich eine Menge ihrer Aspekte wieder. Was ich damit sagen will, desto mehr ich darüber nachdenke, umso mehr befürchte ich, daß diese Stadt ihr Spielplatz ist und wir ihre Spielfiguren.“

Allmählich gewinnt wieder die Ruhe und Vernunft die Oberhand, die Priesterin stellt ihr unruhiges Gepilgerei ein und kehrt zu ihrem Stuhl zurück. Sie stützt die Unterarme darauf und schaut Hel an.
Diese Gedanken waren ihr alles andere als neu, hegte sie den Verdacht schon recht früh und hatte ihn auch in der ersten Versammlung kund getan.
Ihre Stirn kraust sich nachdenklich.
"Und wenn.. jeder von uns für einen bestimmten Aspekt steht? Das wäre klarer, wenn wir mehr wären, nämlich 14. Jedem von uns ist ein Aspekt zugeordnet, mir Mehdora, Timea Kelida, Ataeric Delvan und so weiter.. sie wollen wissen, welcher Aspekt die Oberhand gewinnt." sie schüttelt den Kopf. "Aber die Götter .. sie tun solch Dinge aus niedrigen Beweggründen nicht. Auch nicht zu ihrer.. Unterhaltung. Es ist.. ewig her, das sie sich so direkt bei den Lebenden eingemischt haben. "
Die ganze Sache scheint sie nur noch mehr zu verwirren. Sie langt nach ihrem Becher, leert ihn in einem tiefen Zug und schenkt sich von dem alkoholischen Getränk ein, an dem sie nippt.

Ihre Worte erinnern ihn wieder daran, welch abgrundtiefer Graben zwischen ihnen klafft. Als er von Aspekten gesprochen hat, hatte er natürlich nicht die verdrehten Dogmen des neuen Kultes im Sinn gehabt, sondern die klare Botschaft der Offenbarung. Er unternimmt gar nicht den Versuch, das Gespräch in diese Richtung weiter zu führen. Tessyas Reaktion auf den Namen der dunklen Göttin war schon heftig genug gewesen. Jetzt auch noch die absurden Thesen ihres Kultes in Zweifel zu ziehen, mußte unzweifelhaft zu einer Auseinandersetzung führen, an der ihm im Moment nicht gelegen war. „Ewig her? Das der Tafelberg nach der großen Schlacht erwachte, ist keine drei, vier Jahre her. Wenn das nicht eine direkte Einmischung war, was ist dann eine? Ich meinte auch nicht, daß sie uns zu ihrer Unterhaltung hergeholt hat oder zumindest nicht ausschließlich. Das was wir hier tun hat Sinn für sie. Ich fürchte sie probt auf diesem kleinen Spielfeld Züge für das Große Spiel und wir, wir sind das Verbrauchsmaterial.“